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Archiv-Artikel

„Unterprivilegierte Kanaken“

Nach zwei Busentführungen und einem erschossenen Polizisten in den vorigen Wochen rückt eine Migrantengruppe ins Blickfeld: die Libanesen. Marginalisiert? Übersehen? Kriminalisiert? Ein weiteres Kapitel der Desintegration

„Wir sind gegen solche Leute“, sagt die Frau am Telefon der Libanesischen Balagh Vereinigung e. V. in Kreuzberg immer wieder. Wahrscheinlich sei der Reinickendorfer Busentführer weder ein echter Libanese noch besonders gebildet. „Sicher ist er asozial, arbeitet nicht und ist kriminell“, vermutet die Libanesin. Bei Balagh habe man es nur mit intellektuellen und gebildeten Landsleuten zu tun. Selbst ihre Teenagerkinder hätten über den Busentführer nur lachen können. Und überhaupt, „solche Leute“ müssten Deutschland doch eher dankbar sein für die Aufnahme und Hilfe.

In Berlin leben rund 7.500, wie sie selber sagen, „echte“ Libanesen, außerdem rund 22.000 Palästinenser und Kurden, von denen viele ebenfalls einen libanesischen Pass besitzen, oder sogar staatenlos sind, aber zu Zeiten des Bürgerkrieges aus dem Libanon hierher flüchteten.

Solange die Frage nach der Herkunft des angeblich libanesischen Busentführers nicht geklärt ist, möchte der Vorsitzende des Vereins Das Libanesische Haus e. V., Mohamad David, auch nicht darüber sprechen. Er sorgt sich nach dem Todesschuss eines kurdischen Libanesen auf einen Berliner Polizisten und dem Bus-Hijacking nun um den Ruf der Libanesen in Berlin. Gemeinsam mit der Botschaft seines Landes möchte er am liebsten eine Imagekampagne ins Leben rufen.

Die könnte wohl nötig sein, denn tatsächlich haben libanesische und palästinensische Jugendliche ein Integrationsproblem, sagt Aycan Demirel, Mitarbeiter in der Kreuzberger Nachbarschaftsinitiative Bizim Ev – Unser Haus e. V. Demirel, der an der FU Politik studiert, kennt die negativen Begleiterscheinungen diese Phänomens, denn er hat jahrelang mit jugendlichen Migrantenkindern aus verschiedensten arabischen Herkunftländern gearbeitet. Aus seiner täglichen Sozialarbeit weiß Demirel, dass insbesondere palästinensische und libanesische Teenager mit komplexen Problemen der Desintegration zu kämpfen haben. Bezeichnend sei die Wahrnehmung „Türken sind privilegierte Kanaken“, und man selbst stehe noch eine Stufe darunter. Das habe zur Folge, dass viele libanesische und palästinensische Jugendliche sich zunächst verbal zu profilieren versuchten. Dabei reden sie einem militanten Islam, Antisemitismus und naiver Heldenverehrung das Wort und idealisieren die Täter des 11. Septembers. „Höchstwahrscheinlich haben viele von ihnen daher auch Kontakte zu religiös und politisch motivierten Strukturen“, vermutet Demirel. Sei es um Berliner Moscheevereine herum oder durch das Lebensumfeld ihrer Eltern.

Die seien zwar an guten Schulleistungen und Erfolg ihrer Sprösslinge interessiert, ermunterten aber deren politische Emotionalisierung und Hass auf Israel, berichtet er. Zudem hätten diese Teenager keinen emanzipatorischen familiären Hintergrund und seien daher leicht durch gefährliche Parolen zu verführen. Rein äußerlich schmückten diese Kids sich gerne mit den islamistischen Symbolen, wie das der Hisbollah, einer Kalligrafie in Waffenform.

ADRIENNE WOLTERSDORF