Klingt nicht deutsch, klingt nicht hanseatisch: Marr im Molotow
: ROCK IN GROSSBUCHSTABEN

Bei der Hamburger Band Marr stürmt und drängt alles. Da kreischt die E-Gitarre genauso wie das Timbre des Sängers, da geht es offenbar um Kopf und Kragen. Schon auf der Mini-CD Off The Wall And Into Your Soundtrack konnte man das nachhören, jetzt ist das beeindruckende Debüt beim Hamburger Label „Grand Hotel van Cleef“ erschienen.

Ganz unbekannt sind Marr nicht: Zwei der Musiker, Dennis Becker und Olli Koch, spielen bei den hochgelobten Tomte, einer der Labelmacher bei Kettcar. Alles in allem also ein typisch hanseatisches Indie-Rock-Unternehmen von Freunden für Freunde, könnte man glauben. Doch Express And Take Shape klingt anders als eines der üblichen Alben aus Hamburg. Die treibende Intensität und Konzentration, mit der die vier Musiker von Marr ihren zerfaserten Rock in Großbuchstaben spielen, wie sie mit „Are You There?“ mit infernalischen Gitarren beginnen und den Druck fast über die ganze Albenlänge durchhalten, wie leidenschaftlich die zweistimmig gesungenen Marr-Refrains klingen, all das zusammen lässt glauben, dass Marr tatsächlich etwas Besonderes sind – nicht nur für Hamburger Verhältnisse.

Überhaupt klingen Marr internationaler als die meisten der neuen, deutschsingenden Bands aus Hamburg, die ihr Zuhause im fein gesponnenen Szenegeflecht irgendwo zwischen „Mutter“, „Schlachthof“ und „Molotow“ gefunden haben. Weltgewandter als Tomte oder Kettcar, zorniger und wuchtiger vor allem durch die hohe, gepresste Stimme des Sängers Jan Elbeshausen. Mit zwei angezerrten Gitarren auch schneidender und durchdringender.

Vor allem viel amerikanische Musik könnten Marr gehört haben: At The Drive-In oder Jimmy Eat World, sogar die Postpunk-Noise-Pioniere von Sonic Youth oder die Weltuntergangsszenarien der ganz frühen Cure sind in Hörweite, wenn Marr stürmen und drängen.

Schon ist „Postcore“ als Genre dafür ausgerufen worden. So wenig die Musik von Marr mit dem vergleichbar sein dürfte, was die Bandmitglieder früher in den Jugendzentren an Gitarrenprügeleien veranstaltet haben, so falsch ist die Bezeichnung nicht. Denn tatsächlich klingt das Marr-Album wie eine Überwindung bestehender, das mag prätenziös klingen, Sound- und Stylecodes. Was an Express And Take Shape so gut gefällt ist, dass diese Musik ganz und gar nicht deutsch klingt – und schon gar nicht hanseatisch. Dass sie nicht schludrig ist, sondern hochkonzentriert. Dass sie mit allen Schulen bricht, Gemeinschaft stiftet und doch offenbar gar nicht mehr sein will, als sie ist: juvenile, euphorische Rockmusik.

Übrigens: Mit Johnny Marr von den Smiths hat der Bandname überhaupt nichts zu tun. An ein Kunstprojekt erinnert der Name, erzählt Jan Elbershausen in Interviews – an eine Freundin, die in Leipzig Bilder und Skizzen auf Hauswände geklebt hat und das Ganze einfach Marr nannte.

Mit dabei im Molotow ist an diesem Abend Finn, dessen Album Expose Yourself To Lower Education beim Hamburger Label „Sunday Service“ erschienen ist. Liebenswert klingt Finn: melancholische, menschenfreundliche Popmusik mit jeder Menge Herzblut – ein kleines Schatzkästchen, wenn die Seele schmerzt. Marc Peschke

29.2., 21 Uhr, Molotow