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Archiv-Artikel

Viererbande erwartet Zuwachs

EU-Minigipfel fasst konkrete Beschlüsse zu Verteidigungsunion, die für alle da sein soll

BRÜSSEL taz ■ Das vom belgischen Premier Guy Verhofstadt gestern in Brüssel inszenierte Treffen mit den Staatschefs von Deutschland, Frankreich und Luxemburg endete mit einer Überraschung: Die vier Teilnehmer einigten sich auf eine lange Liste sehr konkreter Maßnahmen, um die europäische Verteidigungspolitik voran zu bringen. Sie drückten sich auch nicht davor, Zieldaten zu nennen, an denen ihre Bemühungen später gemessen werden können.

Die Vorschläge richten sich an zwei Adressaten: Zunächst sollen sich die Partnerländer in der derzeitigen und der erweiterten Union angesprochen fühlen. Wer die vierseitige Erklärung nach einem Leitsatz durchsucht, stößt mehrfach auf diese Formulierung: „Offen für alle derzeitigen und künftigen Mitgliedsstaaten, die interessiert sind.“ Zum zweiten wird ein präziser Arbeitsauftrag an den Konvent gerichtet, der bis Ende Juni den Entwurf für eine EU-Verfassung erarbeiten soll.

In diesem Kontext wird auch verständlich, dass der Gipfel nicht, wie bisher in der Öffentlichkeit wahrgenommen, als Trotzreaktion auf die Spaltung der Union im Irakkonflikt zu Stande kam. Am 18. Juli letzten Jahres, so betonte der französische Staatschef Jacques Chirac, habe er den ersten Brief seines belgischen Kollegen mit Anregungen für eine „Koalition der Willigen“ in der Krisenprävention, der Sicherheits- und Verteidigungspolitik erhalten. Das war Monate vor dem Beginn der Waffeninspektionen und lange vor dem Solidaritätsschreiben der acht europäischen Staaten, die Bushs Irakkrieg unterstützten.

Eine eigenständige europäische Außenpolitik, so der grundlegende Gedanke des Papiers, ist nur glaubwürdig, wenn sie von überzeugenden militärischen Kapazitäten und zivilen Kräften der Konfliktlösung gestützt wird. Parallele Rüstungsprojekte und zersplitterte militärische Strukturen könne sich die EU künftig nicht mehr leisten.

Deshalb soll aus der deutsch-französischen Brigade eine Eingreiftruppe entstehen, in die zunächst belgische Kräfte und – eher symbolisch – einige Luxemburger Militärs integriert werden. Auch diese Truppe steht allen anderen EU-Ländern offen. Sie soll im Rahmen der Nato, aber auch bei EU-Operationen oder unter dem Dach der UNO tätig werden.

Spätestens im Juni 2004 soll ein strategisches Kommando für Lufttransporte einsatzbereit sein, das auch der Nato zur Verfügung gestellt werden kann. Ferner soll eine Spezialeinheit zur Abwehr von ABC-Waffen und eine innerhalb von 24 Stunden einsatzbereite Einheit für humanitäre und militärische Katastrophen geschaffen werden. Geschaffen werden sollen außerdem europäische Ausbildungszentren, wo zunächst die Besatzungen der Lufttransportmaschinen A400M, später auch andere Einheiten geschult werden.

Der Konvent zur EU-Reform, der ohnehin schon im Zeitverzug ist, erhielt von den vier Regierungschefs einen zusätzlichen Auftrag: Er soll das Konzept einer „Union der Sicherheit und Verteidigung“ in den Verträgen verankern und die Möglichkeit zur verstärkten Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen eröffnen – ohne dass dadurch die Interessen neutraler Mitgliedsstaaten verletzt werden.

DANIELA WEINGÄRTNER