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Archiv-Artikel

„Ich bin anders als Effe“

„Stimmt: Privat sind grade die jungen Spieler alles andere als wild“

Interview PETER UNFRIED

taz: Herr Rau, was war Ihr erstes Fußballspiel im Fernsehen?

Tobias Rau: Das dürfte bei einer WM gewesen sein. Meine Eltern und mein Bruder haben so Sachen gekuckt. Das müsste 1990 gewesen sein, dass ich gesagt habe: Okay, jetzt bin ich auch voll dabei.

Wer waren Sie beim Kicken?

Am liebsten war ich sicher Andi Möller. Ich war Dortmund-Fan früher, und von dem hatte ich auch ein Trikot, naja.

Mal wie Olaf Thon in Bettwäsche des FC Bayern geschlafen?

Nee, nee, ich war nie so richtig Fan einer Mannschaft. Es hat mir einfach nur Spaß gemacht zu spielen.

Ein paar Jahre später kam Ihre Freundin und sagte, ein Herr Hoeneß sei am Telefon.

Ja, so war das. Meine Freundin kennt sich nicht so mit Fußball aus. Das ist auch ganz gut so. Ich wollte es jedenfalls erst mal gar nicht glauben.

Sie haben das Gespräch dann angenommen, und nun fangen Sie am 1. Juli beim FC Bayern an.

Ja, das ist schon eine eigenartige Entscheidung. Hätte mir das einer vor zwei Jahren gesagt, hätte ich den Kopf geschüttelt.

Finden Ihre Freunde das gut?

Die meisten sagen, sie hätten es genauso gemacht. Ein paar sagen vielleicht: Bayern ist nicht so mein Fall, da würde ich niemals hingehen. Manche sagen, da würde man etwas abgehoben. Aber ich habe mich bei Stefan Effenberg und Pablo Thiam informiert …

beide Ex-Bayern-Profis …

… das soll nicht so sein, wie immer erzählt wird.

Sie haben aber ein Lehrjahr einkalkuliert, der Klub auch?

Genau. Jeder Profi, der den Verein wechselt, braucht eine gewisse Eingewöhnungszeit. Wenn ich im ersten Jahr viel lernen kann, kann ich im zweiten voll dabei sein.

Es wäre die erste Zwischenbremsung. Sie sind 21 und schon Nationalspieler.

Ja, das ging rasend schnell: von Braunschweig nach Wolfsburg, sofort Stammspieler, Nationalspieler, jetzt der Wechsel zu Bayern.

Viele fragten: Wer? Rau?

Naja, über Wolfsburg wird eben nicht so viel geschrieben wie über Bayern. Für mich hat sich die Nationalmannschaft schon länger angedeutet.

Inwiefern?

Es gibt zwei Wege, da reinzurutschen. Über die Bundesliga – und über die U 21. Da habe ich gute Leistungen gebracht.

Sie haben ab U 15 in allen Nationalmannschaften gespielt.

Ja. Beim DFB wird langfristig beobachtet – auch schon, bevor einer Bundesliga spielt.

Dieses Jahr kamen viele Junge raus.

Der Mut ist wieder da …

und ohne Kirch fehlt das Geld für teure Einkäufe …

… und die Trainer setzen wieder junge Talente ein und können sich damit auszeichnen.

Große Helden der Bundesliga hören diesen Sommer auf: Effenberg, Häßler, Möller, Basler.Was unterscheidet Sie von diesen Mittdreißigern?

Es ist schon eine andere Generation. Und das liegt nicht nur daran, dass sie älter sind. Ich glaube auch nicht, dass wir irgendwann mal eine Position einnehmen würden, wie sie sie haben, wenn wir älter sind. Die Generationen verändern sich zunehmend beim Fußball – genau wie das Umfeld.

Worin besteht die Veränderung?

Schauen Sie sich allein an, wie mit den Medien umgegangen wird. Das ist faszinierend, wie jede Generation immer routinierter mit der Situation umgeht. Wir Fußballer, die jetzt nachrücken, kennen das von klein auf. Wir wissen aus dem Fernsehen, wie Interviews gegeben werden, wie man sich zu verhalten hat in der Öffentlichkeit. Das war früher nicht so.

Manche nennen Ihre Generation Junge Wilde.

Das ist so ein Spruch. Leicht dahergesagt. Der fällt immer, wenn mal ein Junger auffällt. Junge Wilde gab’s schon immer.

Sie sind aber offenbar nicht wild.

Okay. Das Wilde soll eher wiedergeben, dass wir auf dem Platz frisch wirken, spritzig sind. Aber es stimmt: im privaten Bereich sind grade die jungen Spieler alles andere als wild.

Und im Berufsalltag?

Es gibt eine kleine Hierarchie in jeder Mannschaft. Die jungen Spieler sind die, die eher ruhiger sind, aufpassen, versuchen so viel wie möglich zu lernen. Da kann ich eigentlich für fast alle sprechen: Die würden nicht groß den Mund aufmachen oder sich lautstark beschweren oder irgendwelche Sachen in die Hand nehmen oder groß Verantwortung übernehmen wollen.

Also: Ist wild gut oder schlecht?

Positiv wild auf dem Platz: Das ist gut. Aber wild aufdrängen, damit man auffällt, durch Zeitungen, sollte man sich nicht. Ich denke, man ist schlecht beraten, wenn man als junger Spieler versucht, Sachen in die Hand zu nehmen, oder wenn man Probleme macht.

Sie sind immerhin Wolfsburgs einziger DFB-Nationalspieler.

Ja, dadurch, dass ich Nationalspieler bin und zuletzt viel über mich geredet wurde, werde ich in einige Entscheidungen miteinbezogen. Aber ich sehe mich immer noch als Lehrling. Ich möchte von den alten Spielern so viel wie möglich lernen.

Haben Sie von Ihrem zeitweiligen Kollegen Stefan Effenberg etwas gelernt?

Ja. Sportlich kann man von ihm viel lernen. Er kann Situationen auf dem Platz total gut erkennen, er weiß genau, was er wann zu machen hat. Wo man hinläuft, wann man sich wie bewegt.

Und …

… weiß schon. Privat kannte ich ihn nicht so gut. Im Umgang war er professionell und total nett. Grade auch zu jungen Spielern. Er war wirklich ein netter Kollege.

Ein Vorbild?

Ich bin anders als Stefan Effenberg, ich bin eine ganz andere Persönlichkeit. Aber es gibt sportlich viele Sachen, die man lernen kann. Er geht schon sehr professionell mit den ganzen Sachen um.

Herr Rau, sind Sie politisch?

Ich bin bei der Frage sehr vorsichtig. Ich möchte mich nicht in eine Ecke drängen lassen oder Fußballfans meine Meinung aufdrängen.

Aber?

Aber als der Krieg im Irak angefangen hatte, war es sicher richtig, sich persönlich zu engagieren.

Inwiefern?

Um etwas beizutragen, dass man die Antikriegseinstellung ein bisschen verbreiten konnte.

Was haben Sie gemacht?

Es gab eine Antikriegsdemo in Braunschweig. Da war ich der Schirmherr.

Warum lachen Sie?

Naja, ich konnte dann aber nicht mitgehen, weil ich Training hatte und einen Arzttermin. Das sind dann immer die Sachen. Da kann man nichts machen.

Sie haben den Kriegsdienst verweigert und dafür im Krankenhaus gearbeitet. Warum?

Ein bisschen Politik war da im Spiel, aber auch die praktische Seite. Ich wollte lieber Zivildienst machen, aber ich hätte mich auch zu einer Sportkompanie breitschlagen lassen.

Und? War es richtig?

Unbedingt. Das hilft mir im weiteren Leben. Wir Fußballer regen uns immer über Kleinigkeiten auf …

Zum Beispiel?

Wenn man mal nicht spielt oder nicht im Kader ist. Wenn man im Krankenhaus gearbeitet hat, weiß man, was wirkliche Probleme sind.

Herr Rau, wie finden Sie Teamchef Rudi Völler?

Er ist ein Supertrainer. Er hat alle sportlichen Erfahrungen gemacht, hat so viel Erfolge gehabt, ist trotzdem auf dem Teppich geblieben. Total nett, egal, wen er vor sich hat. Das hilft gerade uns jungen Spielern sehr, wenn wir merken, dass da so nett miteinander umgegangen wird. Man kann leichter aufspielen.

Nett? Heißt das, dass die Hierarchien im DFB-Team niedrig sind?

Die sind relativ niedrig. Es gibt immer eine Hierarchie. Aber man braucht weder Angst noch Ehrfurcht zu haben. Das ist es auch, was den Teamgeist ausmacht: wenn man sich mit allen verbunden fühlt.

Seit Sie Profi sind, spielen Sie fast immer auf der linken Seite.

Ja, da fühle ich mich wohl, da fühle ich mich sicher. Da weiß ich am besten, wie ich mich taktisch zu verhalten habe. Es kam auch schon vor, dass ich woanders eingesetzt wurde und dachte: Oh, weiß ich überhaupt, wie die Laufwege sind?

An wem orientieren Sie sich?

Ich hatte nie ein Vorbild.

Anders gefragt: Wer macht seine Arbeit gut?

Tja …

Warum lachen Sie?

Es ist natürlich schon so, dass der Lizarazu in meinen Augen ein Superspieler ist auf der linken Seite.

Bixente Lizarazu ist Ihr künftiger direkter Konkurrent beim FC Bayern.

Ja, das ist einerseits eine große Konkurrenz für mich, andererseits kann ich sehr viel lernen, wenn ich hautnah dran bin.

Er ist ein kluger Spieler?

Ja, er macht taktisch viele Löcher zu, weiß, wo er hinlaufen muss, wie er eine Situation einschätzen muss. Und dann ist er natürlich auch von der Einstellung her ein Vorbild: wie er kämpft und für andere Fehler ausbügelt.

Ist er besser als Roberto Carlos?

Roberto Carlos ist auch ein Riesenspieler, aber bei ihm ist es so, dass er …

Oha, werden Sie jetzt doch wild?

… dass er …

Oder wie formuliert man Kritik freundlich?

Tja … wie? Lassen wir’s weg.