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Archiv-Artikel

Bombastische Propaganda

Jahrzehntelang stilisierten sich die Gewerkschaften als Opfer des Nationalsozialismus. Ihre Anpassung an die Sprache der „Volksgemeinschaft“ thematisiert im Haus des DGB erst jetzt eine Ausstellung. Der 1. Mai als Tag vorauseilender Unterwerfung

von DIETER WULF

Am 2. Mai 1933, heute vor 70 Jahren, stürmten die Nationalsozialisten überall in Deutschland die Gewerkschaftshäuser. Hunderte Gewerkschaftsfunktionäre verschwanden in meist provisorisch eingerichteten Folterkellern der Nazis. Noch am gleichen Tag wurden alle freien Gewerkschaften verboten, das Vermögen beschlagnahmt und in die nationalsozialistische „Deutsche Arbeitsfront“ überführt. Die Gewerkschaften als Opfer, daran erinnert man beim DGB seit Jahrzehnten. Dass es jedoch auch eine andere, sehr fragwürdige Kooperation zwischen dem ADGB, dem Vorläufer der heutigen Gewerkschaften, und den Nationalsozialisten gab, wurde jahrzehntelang verdrängt. Erst jetzt präsentiert eine Ausstellung, die heute vom DGB-Vorsitzenden Michael Sommer im Foyer des Berliner DGB-Hauses eröffnet wird, erstmals öffentlich, wie große Teile der Gewerkschaften versuchten sich mit den Nazis zu arrangieren.

Am 30. Januar 1933, dem Tag der nationalsozialistischen Machtübernahme, trafen sich führende Gewerkschaftsvertreter und Sozialdemokraten, um zu beraten, wie man sich nun verhalten solle. Siegfried Aufhäuser, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Angestellten (AFA), forderte vehement, dass man sich sofort auf einen Abwehrkampf einrichten müsse. Schon einmal 1920, hatte er zusammen mit dem damaligen ADGB-Vorsitzenden Carl Legien die Republik vor einem rechten Umsturz gerettet. Der erfolgreiche Aufruf zum Generalstreik hatte damals den Kapp-Putsch rechter Militärs zusammenbrechen lassen. Jetzt forderte Aufhäuser erneut den Aufstand, wenn nötig den Bürgerkrieg.

Doch diesmal war die Mehrzahl der Gewerkschaftsführer nicht auf seiner Seite. „Organisation, nicht Demonstration ist das Gebot der Stunde“, erklärte der Bundesausschuss des AGDB. Stattdessen wurde Siegfried Aufhäuser bereits im März 1933 von Theodor Leipart, dem Vorsitzenden des ADGB, mit antisemitischem Tonfall zum Rücktritt gedrängt, da dieser als Jude und linker Sozialdemokrat „eine zu schwere Belastung“ für den ADGB geworden sei. So versuchten sich die Spitzengremien der Gewerkschaft den neuen Machthaben anzudienen.

Als die Nazis im April den 1. Mai dann zum „Feiertag der nationalen Arbeit“ erklärten, wurde auch der Tonfall in den Gewerkschaften der Sprache der Nationalsozialisten immer ähnlicher. „Die nationale Revolution hat einen neuen Staat geschaffen, der alle klassenmäßigen Trennungen überwindet“, hieß es in einem Aufruf verschiedener Gewerkschaften. Schließlich rief der ADGB sogar seine Mitglieder dazu auf, an der von den Nazis organisierten 1.-Mai-Demonstrationen teilzunehmen. Der 1. Mai 1933 wurde so mit Hilfe der Gewerkschaften zur bombastischen Propagandashow des nationalsozialistischen Regimes. Alleine in Berlin redete Hitler auf dem Tempelhofer Feld vor über einer Million Menschen. Überall in Deutschland zelebrierten die Nazis den 1. Mai als Feier der neuen Volksgemeinschaft.

Zu diesem Zeitpunkt hätte den Gewerkschaften klar sein müssen, dass Hitlers Ankündigung, die Gewerkschaften zu „zerschlagen“, längst begonnen hatte. Schon im April hatten die Sturmtrupps der SA in ganz Deutschland über 40 Häuser der Gewerkschaften besetzt. Doch auch das führte nur zu noch mehr Anpassung. „Unser Dienst ist Dienst am Volke, sie kennt den soldatischen Geist der Einordnung“, hieß es nun unterwürfig, um die Gewerkschaften auch in einem braunen Deutschland weiterführen zu können.

Das war eine fatale Fehleinschätzung. Bereits Mitte April hatten die Nationalsozialisten auf einer geheimen Tagung unter Vorsitz von Robert Ley, dem späteren Leiter der Deutschen Arbeitsfront, festgelegt, welche Häuser besetzt und wer verhaftet würde. Fast überall funktionierte die Zerschlagung und das Verbot der Gewerkschaften wie von den Nazis geplant.

Zwar gab es vereinzelt Widerstand. In Berlin versammelten sich Metallgewerkschaftler unter dem Motto „Die braunen Affen angucken“ zu stillen Kundgebungen im Zoo. In Leipzig musste ein Infanterieregiment anrücken und mit einer Feldkanone das Gewerkschaftshaus beschießen, bevor sie sich ergaben. Aber die Macht der Gewerkschaften war zu diesem Zeitpunkt längst gebrochen.

Die interessant gemachte Ausstellung zeigt eindrücklich, dass die Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai ohne die Ereignisse am Tag zuvor nicht verstanden werden können. Jahrzehntelang hätten die Gewerkschafter sich jedoch ausschließlich als Opfer empfunden, erklärt Esther Dischereit, für die Ausstellung zuständige Gewerkschaftssekretärin. Ein Bedürfnis, auch in den eigenen Reihen nach Verantwortlichen zu suchen, gab es scheinbar nicht.

„Der 1. und 2. Mai 1933“ im Foyer des DGB Gewerkschaftshauses Berlin, Keithstraße 1–3, 2. 5. bis 2. 9.