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Archiv-Artikel

Christian Wulff findet sich selbst ganz Spitze

CDU/FDP-Regierung in Niedersachsen zieht Ein-Jahres-Bilanz. Schärfere Polizeigesetze, neues Schulgesetz

HANNOVER taz ■ Der niedersächsische SPD-Fraktionschef Sigmar Gabriel drohte Woche um Woche, ein gebrochenes Wahlversprechen von Christian Wulff öffentlich aufzuspießen. Und der Deutsche Gewerkschaftsbund, die IG Metall und Ver.di attestierten der niedersächsischen Landesregierung zu ihrem einjährigen Amtsjubiläum gemeinsam ein „gestörtes Verhältnis zu den Gewerkschaften“. Ministerpräsident Christian Wulff und sein Stellvertreter und Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) gaben sich gestern allerdings bei ihrer Ein-Jahres-Bilanz äußerst zufrieden und selbstbewusst.

Wulff entwarf das Bild einer fleißigen, sparsamen und wohlüberlegten Regierungspolitik, und FDP-Landeschef Hirche steuerte einige günstige Wirtschaftsdaten des Landes bei. Die Wahl von Wulff zum jüngsten Ministerpräsidenten der Bundesrepublik und der Wechsel nach 13 Jahren SPD-Regierung zu Schwarz-Gelb in Niedersachsen liegen am kommenden Donnerstag, dem 4. März, genau ein Jahr zurück.

Nach der Lesart von Christian Wulff fand die neue Regierung eine „extrem schwierige Situation“ vor und hat sich dann „auf einen guten, aber langen Weg gemacht“. Dabei habe man „in zwölf Monaten mehr bewegt als viele Vorgängerregierungen in ganzen Legislaturperioden“.

In der Tat hat die CDU/FDP-Regierung in der Gesetzgebung durchweg auf Schnellverfahren gesetzt, hat strittige Entwürfe von den Koalitionsfraktionen einbringen lassen und sich so Anhörungen erspart. Nur ein Jahr nach dem Regierungswechsel hat das Land bereits schärfere Gesetze für Polizei und Verfassungsschutz und etwa auch ein neues Schulgesetz, das auf das frühe Sortieren der Kinder setzt und das dreigliedrige Schulsystem nun wieder ab Klasse fünf statt ab Klasse sieben kennt.

Die Koalition verabschiedete auch ein neues Mediengesetz, das Minderheitsbeteiligungen der SPD an einigen niedersächsischen Verlagen aufs Korn nimmt und solche Verlagshäuser aus dem Privatfunkgeschäft drängen will. Auch das Hochschulgesetz wurde novelliert, um Einsparungen festzuklopfen.

Allerdings ging Wulff die Haushaltskonsolidierung doch noch behutsam an. Einen verfassungsmäßigen Landeshaushalt, bei dem die neu aufgenommenen Schulden die Investitionen nicht übersteigen, will er erst am Ende der Legislaturperiode im Jahr 2008 erreichen.

Die niedersächsische Wirtschaft ist im vergangenem Jahr immerhin noch um 0,2 Prozent gewachsen, während das Bruttoinlandprodukt im Schnitt der westdeutschen Bundesländer um 0,2 Prozent sank. Wirtschaftsminister Hirche wies zudem stolz auf die in Vergleich zu anderen Westländern günstigere Entwicklung bei Lehrstellen, Jugendarbeitslosigkeit und auf den nur geringen Arbeitsplatzabbau um 0,1 Prozent hin. Dem Regierungswechsel, wie Wulff und Hirche suggerierten, sind die Zahlen kaum geschuldet. Was lange als niedersächsische Schwäche galt, wenig Arbeitsplätze in der Informations- und Kommunikationsbranche, wurde mit der Krise dieser Branchen zum Vorteil. JÜRGEN VOGES