STREIKS IN ÖSTERREICH: REGIERUNG UNTERMINIERT SOZIALPARTNERSCHAFT
: Schüssel macht’s wie Maggie Thatcher

Bundesweite Streiks sind in Österreich ein Jahrhundertereignis. Denn im Rahmen der Sozialpartnerschaft wurden Gesetzesprojekte von großer Reichweite von der Regierung und den Vertretungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer einvernehmlich beschlossen. So wurden zwar manche Reformen verwässert, doch der soziale Friede, der das Land nicht zuletzt auch für Touristen und Investoren attraktiv macht, wurde gewahrt.

Seit Wolfgang Schüssel mit Hilfe der FPÖ zum Bundeskanzler wurde, weht ein neuer Wind. Schon vor drei Jahren wurde die Sozialpartnerschaft unterminiert. Gesetze werden im Schnellverfahren durchgezogen, auf die Gefahr, dass sie später vom Verfassungsgerichtshof gekippt oder, wie zuletzt die zum allgemeinen Ärgernis mutierte Ambulanzgebühr, wieder abgeschafft werden müssen. Mit der Schnelligkeit der Gesetzgebungsverfahren sollte die Opposition überrumpelt und Protest unterdrückt werden. Doch erreicht wurde nur, den eigentlichen Zweck vieler Vorhaben zu konterkarieren und die Bereitschaft der Bevölkerung zu mindern, Reformen mitzutragen.

Das trifft auch auf die Rentenreform zu, die von der Regierung im Alleingang ausgekocht wurde. Dabei verfuhr man nach bewährtem Muster. In die Expertenentwürfe willkürlich eingebaute Giftzähne wurden nach allgemeinen Protesten teilweise gezogen. Gelegenheit für Diskussion und Beteiligung der Sozialpartner: null. Schüssel, der seit seinem Wahlsieg im November zunehmend autoritär agiert, hat die Gewerkschaften gezielt provoziert. In einer Art nachholendem Thatcherismus versucht er die Macht des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, mit 1,5 Millionen Mitgliedern der einzigen wirklichen Oppositionskraft, zu brechen. Doch anders als die kampflustigen britischen Gewerkschaften haben die österreichischen breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Nach jüngsten Umfragen haben 62 Prozent volles Verständnis für den bevorstehenden Streik, der zu einer ernsthaften Machtprobe zu werden droht. Denn Schüssel ist nicht gewohnt, nachzugeben. RALF LEONHARD