Sozialreformen treiben auch die Union um

Schröders Agenda 2010 sorgt für unterschiedliche Reaktionen bei CDU/CSU. Klausur am Sonntag soll Differenzen ausräumen

BERLIN taz/afp/dpa ■ Der DGB war erleichtert, als gestern Mittag die ersten Meldungen aus den Bezirken eintrudelten: „Knapp eine Million“ Protestierende hatte man insgesamt auf den diversen Kundgebungen gezählt. „Das sind doppelt so viele wie vor einem Jahr“, resümierte ein DGB-Sprecher erfreut.

Den Missmut gegen die geplanten Sozialreformen bekommt nicht nur die SPD zu spüren (siehe oben). Auch der Union fällt es nicht leicht, sich auf ein Konzept zu verständigen. Ab Sonntag wollen sich die Präsidien von CDU und CSU zu einer Klausur in München treffen, um Unstimmigkeiten auszuräumen. Angeblich geht es nicht um einen „Richtungsstreit“, sondern um „Nuancen“ (CDU-Chefin Angela Merkel) oder „Details“ (Fraktionsvize Friedrich Merz). Diese Wortwahl erinnert an den Kanzler, der seine „Agenda 2010“ auch nur noch in „Details“ verändert sehen will.

Eine dieser umstrittenen Unions-„Nuancen“: Wie stark soll die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes bei Älteren gekürzt werden? Der Kanzler will es auf 12 Monate begrenzen; über 55jährige sollen es 18 Monate kriegen – bisher bekommen sie es 32 Monate lang. CSU-Chef Stoiber will sich dem Modell Schröder anschließen. Anders Merz, er plädiert für eine Staffellösung. Je nachdem wie lange Beiträge eingezahlt wurden, soll es das Arbeitslosengeld zwischen sechs und 30 Monate lang geben. „Unsozial“, konterte der Arbeitnehmerflügel in der CDU.

Eine weitere „Nuance“, bei der es bisher keine unionsinterne Einigung gibt: Wie ist das künftige Sozialgeld, die bisherige Sozialhilfe, zu gestalten? Im März sorgte Stoiber für Furore, als er sie generell bei Arbeitsfähigen um 25 Prozent kürzen wollte. Prompt meldeten sich die Unionspolitiker aus dem Osten, die nochmals daran erinnerten, dass es bei ihnen leider keine Stellen gebe. Auch nicht für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger. Inzwischen favorisiert Merz den Plan, man könne jede staatliche Unterstützung streichen, falls Arbeitslose eine zumutbare Stelle ablehnen.

Eine dritte „Nuance“: Auch beim Thema Rente ist man sich nicht einig. Stoiber hat den Vorschlag der Rürup-Kommission abgelehnt, die Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre zu verlängern. Merkel hingegen hält sich alle Optionen offen.

Wenig Aufsehen erregte bisher die Gesundheitspolitik. Ganz entspannt wollte die Union die Vorschläge ihrer Herzog-Kommission abwarten, die am 9. Mai bekannt gegeben werden sollen. Doch gestern meldete sich die Junge Union zu Wort. Ihr 23-jähriger Chef Philipp Mißfelder kündigte Forderungen an, „die über die bisherigen Positionen aller Parteien und Kommissionen hinausgehen“. Nur noch „Basisleistungen“ sollten von den Krankenkassen getragen werden. Krankengeld und Zahnbehandlung müsse jeder selbst absichern und außerdem 10 Prozent zu den Basisleistungen zuzahlen. Gleichzeitig sollten auch die Einkünfte aus Vermietung kassenpflichtig werden. Allerdings ist der JU-Chef nicht allzu optimistisch, mit seinen Forderungen durchzudringen: „Ich glaube, dass es in der Union ziemlich große Beharrungskräfte gibt.“

Um Kursbestimmung geht es auch bei den Grünen. Der Kreisverband Münster hat alle Parteimitglieder eingeladen, am Samstag über einen Alternativantrag zu beraten – er soll auf dem grünen Sonderparteitag Mitte Juni gegen Schröders „Agenda 2010“ antreten, die von der grünen Fraktionsspitze auch gestern wieder als „große Chance“ verteidigt wurde. Wie viele Grüne dies anders sehen und nach Münster anreisen, kann Initiator Wilhelm Achelpöhler nicht abschätzen: „Wir haben einen Raum, da passen hundert Leute rein.“

ULRIKE HERRMANN