: Niedersachsen will siegen
Schulpolitische Wende in Niedersachsen: Im Sommer können zum letzten Mal Grundschüler in eine „Orientierungsstufe“ wechseln, dann ist Schluss mit diesem ungeliebten Kind der SPD. 2.500 zusätzliche Lehrerstellen sollen besetzt werden
Hannover (dpa/taz) – Der Schulstreit in Niedersachsen geht in der nächsten Woche in eine konkrete Phase. Am kommenden Donnerstag beginnen die Anhörungen zum neuen Schulgesetz. Im Kultusausschuss des Landtags werden Verbände und Fachleute dann zu den Pläne der CDU/FDP-Regierung Stellung nehmen. Der CDU-Schulexperte Karl-Heinz Klare sagte, bereits im Vorfeld gebe es breite Unterstützung für die Reformpläne. „Wir wollen nicht, dass niedersächsische Schülerinnen und Schüler länger zu den Verlierern nationaler und internationaler Leistungsvergleiche gehören, sondern zu den Siegern von morgen zählen werden“, begründete Kultusminister Bernd Busemann (CDU) kürzlich vor dem Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund in Walsrode die Absicht der neuen Landesregierung, die Orientierungsstufe aufzulösen. Die SPD-Opposition kritisiert vor allem, dass bereits nach Klasse 4 über die Zukunft eines Kindes entschieden werden soll, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Wolfgang Jüttner. In der Diskussion gebe es zudem noch eine Unmenge von ungeklärten Punkten. „Der Sack an offenen Fragen ist riesig.“
Der Niedersächsische Städtetag kritisierte, durch die Abschaffung der Orientierungsstufe würden auf die Kommunen als Schulträger neue finanzielle Belastungen zukommen. „Ich weiß, dass es dabei zu Reibungsverlusten und Problemen kommen wird, bin mir aber sicher, dass es sich um eine lösbare Aufgabe handelt“, beruhigte Busemann. Eine zusätzliche finanzielle Unterstützung des Landes in Richtung Schulbauten werde es angesichts der sich gravierend weiter verschärfenden Finanzkrise aber nicht geben. „Für Luftschlösser bin ich nicht zu haben.“
Unklar ist, kritisierte Jüttner, wie es mit den Gesamtschulen praktisch weitergehen werde. Die neue CDU-Regierung will keine neuen Schulen genehmigen, den alten aber Bestandsschutz gewähren. Jüttner sagte, die Regierung wolle diese Schulform nach und nach austrocknen. In der Praxis werde es Gesamtschulen künftig beispielsweise nicht mehr möglich sein, bei Bedarf zusätzliche Klassen einzurichten. Bei vielen Eltern stehe diese Schulform aber unverändert hoch im Kurs. Bestrebungen für Neugründungen gebe es unter anderem in Helmstedt und Lüneburg. Die SPD will deswegen eine solide Absicherung für die bestehenden Schulen, die auch Entwicklungsperspektiven beinhaltet. Busemann hatte dagegen kürzlich erklärt, seiner Ansicht nach stehe hinter dem Wunsch nach einer kooperativen Gesamtschule in Niedersachsen oft „nicht der Wunsch nach einer Gesamtschule, sondern nach einem Gymnasium vor Ort“. Angesichts des Rückgangs der Schülerzahlen – die Landesregierung rechnet mit etwa 20 Prozent weniger Schülern in den kommenden Jahrgängen – würde aber die Einführung weiterer Gesamtschulen notwendigerweise zu Lasten bestehender anderen Schulen gehen. „Damit gefährdet jede neue Gesamtschule den Erhalt eines wohnortnahen, begabungsgerechten und differenzierten Schulwesens. Hier ist abzuwägen zwischen dem Interesse eines kleinen Teils der Erziehungsberechtigten und der weit überwiegenden übrigen Elternschaft“, formulierte Busemann.
Ein Problem für die Gesamtschulen ist derweil die angekündigte flächendeckende Durchsetzung des „Abiturs nach 12 Jahren“. Die schulpolitische Sprecherin der Grünen, Ina Korter, erklärte, wenn auch Integrierte Gesamtschulen (IGS) das geplante Abitur nach Klasse 12 anbieten wollten, müssten sie ihre eigenen Bildungsgrundsätze aufgeben. Der schulformübergreifende Unterricht in der IGS sei dann nicht mehr möglich, weil für den gymnasialen Zweig deutlich mehr Unterricht in der Sekundarstufe 1 gegeben werden müsste.
Busemann sieht das im Grunde genauso: „Kooperative Gesamtschulen, die gegliederte Schulstrukturen aufweisen, können selbstverständlich das Abitur nach 12 Schuljahren anbieten. Für kooperative Gesamtschulen mit jahrgangsbezogenen Klassen ohne schulformspezifische Ausrichtung gilt dies natürlich nicht.“ Auch bei Integrierten Gesamtschulen gibt es bisher kein Konzept dafür: „Bei integrierten Gesamtschulen stehe ich klugen und pfiffigen Ideen offen gegenüber“, meinte er. Da es diese Ideen bisher nicht gibt, droht Gymnasialschülern an Integrierten Gesamtschulen ein gravierender Nachteil. Probleme bei der Abschaffung der Orientierungsstufe gibt es natürlich besonders für diejenigen SchülerInnen, die im Sommer dieses Jahres noch in eine Orientierungsstufe eintreten. „Endgültige Entscheidungen sind noch nicht getroffen worden“, erklärte Busemann, es zeichne sich aber eine Lösung ab: „Die Orientierungsstufe wird stärker differenziert und schulformspezifischer ausgerichtet. Möglichst mit Beginn des 2. Halbjahres im 5. Schuljahrgang soll in den Fächern Mathematik, Englisch und künftig auch wieder Deutsch Fachleistungsdifferenzierung betrieben werden.“ Ob diese Schülerinnen und Schülern gegebenenfalls schon mit dem sechsten Jahrgang aus der OS in gegliederte Schultypen wechseln sollen, „wird noch geprüft“. Für den letzten Schülerjahrgang, der jetzt im Sommer in eine OS kommt, soll noch ein Angebot für das Abitur nach 12 Schuljahren gemacht werden. Wie das aussehen kann, werde „in den nächsten Wochen noch konkretisiert“.
Busemann kündigte unterdessen an, das Land werde von August an bis Januar schrittweise insgesamt 4.114 neue Lehrer einstellen, davon 2.500 zusätzliche. Die Bewerbungsfristen für die Neueinstellung von Lehrern sind angelaufen: 2.882 Pädagogen werden für die allgemein bildenden, 1.232 für die berufsbildenden Schulen gesucht. Damit soll dem zum Teil katastrophalen Unterrichtsausfall der letzten Jahre entgegengewirkt werden. Die Zusage dieser Einstellungen hatte die niedersächsische CDU im Wahlkampf gemacht. Ein Sprecher des Kultusministeriums zeigte sich zuversichtlich, dass genügend Lehrer auf dem Markt zu finden seien.
kawe