: Katerstimmung nach einer langen Nacht
Ausschreitungen am Abend des 1. Mai verursachen mehr Sachbeschädigungen und Festnahmen als im Vorjahr
Kreuzberg am Morgen danach. Während auf der Skalitzer Straße noch vereinzelte Pflastersteine den Wegesrand säumen, ist im Epizentrum der Ausschreitungen letzter Nacht, am Heinrichplatz, alles wieder aufgeräumt. Die Kreuzberger Gewerbetreibenden sind für ihren Pragmatismus bekannt. So auch Mehmet Kabuk, Besitzer eines türkischen Schnellimbisses. „Wenn die Polizei nicht um 22 Uhr den Platz abgesperrt hätte, wäre der Umsatz besser gewesen“, beklagt er sich. Ansonsten hatte er keine Probleme mit der Randale.
Dies sieht der Besitzer des Autohauses in der Mariannenstraße sicherlich ganz anders. Denn ihn hat es gestern als Ersten getroffen. Den ganzen Tag über hatten 20.000 Menschen friedlich in Kreuzberg 36 demonstriert und gefeiert. Doch kurz nach 20 Uhr war es mit der Frühsommeridylle vorbei. Etwa zehn schwarz Vermummte kippten drei Autos um. Es dauerte etwa 15 Minuten, bis eine behelmte Hundertschaft anwesend war. „Kreuzberger Nächte sind lang“, sang ein besoffener Punk.
Die umgekippten Autos waren der Auftakt: Steine und Flaschen flogen, Böller zischten in die Luft. Innerhalb kurzer Zeit waren hier rund 200 Randalierer zugange. Wenig später brannten die drei Autos. Dann eskalierte die Situation auch an der Kreuzung Oranienstraße/ Adalbertstraße. Gegen 21 Uhr tobten die Krawalle auch am Mariannenplatz und in der Muskauer Straße. Die für 22 Uhr geplante Kundgebung der Satirepartei KPD/RZ an der Stelle, wo 1987 der Bolle-Supermarkt ausbrannte, wurde spontan verboten. Die Ausschreitungen weiteten sich bis zum Lausitzer Platz aus. Wasserwerfer und Räumpanzer fuhren auf. Später am Abend setzte die Polizei auch Tränengas ein. Zwar gelang es den Hundertschaften, die Ausschreitungen an einzelnen Stellen schnell wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch bis weit nach Mitternacht waren die Beamten zugange.
Die Bilanz an diesem Abend: 139 Festnahmen, über 1.000 Platzverweise, 175 zumeist leicht verletzte Polizisten und 98 Sachbeschädigungen, darunter zerbrochene Schaufensterscheiben, kaputte Telefonzellen und einige U-Bahn-Waggons. Insgesamt 18 Autos und ein Motorrad brannten aus. Damit gab es deutlich mehr Sachbeschädigungen als noch 2002, auch die Zahl der Festnahmen ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen.
Kurz nach Mitternacht war der alljährliche Spuk wieder vorbei. Während behelmte Stoßtrupps auf der Skalitzer Straße vereinzelt noch vermeintliche Straftäter aufgriffen, waren in den Nebenstraßen die Aufräumarbeiten bereits in vollem Gange. FELIX LEE, PAMO ROTH