: Die Besoldung der Biochemie
Artenreichtum und Geldarmut: Die angekündigte Schließung des Botanischen Gartens in Berlin ist nicht nur ein Zeichen des Sparzwangs, sondern auch eines Paradigmenwechsels. Vom Kampf um die Gelder zwischen Ökologie und Molekularbiologen
von CORD RICHELMANN
War das eine Versuchsanordnung, um die Loyalität der Berliner mit ihren Universitäten zu testen? Dann war der Test erfolgreich: FU-Präsident Peter Gaethgens kündigte an, sich bei Durchsetzung der Sparvorgaben des Senats vom Botanischen Garten trennen zu müssen. Bereits einen Tag später gingen in einer Pizzeria nahe des Botanischen Gartens Unterschriftenlisten, die gegen die Schließung protestierten, von Tisch zu Tisch. Die Argumente waren merkwürdig klar: Es geht um die Pflanzen, die Luft und die Kinder. Dagegen kann man wirklich nichts sagen. Wahrscheinlich ist nicht mal der Finanzsenator gegen Pflanzen.
Man kann Gaethgens’ Ankündigung aber auch anders lesen. Nämlich so, dass er bei finanziell geringerer Austattung der FU die Institution des Botanischen Gartens für die Forschung für verzichtbar hält. Damit dürfte er auch im Sinne vieler Biologieprofessoren – zumal der molekularbiologisch Arbeitenden – reden. Denn für eine effiziente molekular ausgerichtete Grundlagenforschung braucht man nicht 23.000 Pflanzenarten, die in einem Garten vor sich hingedeihen. Dazu reicht es völlig aus, sich auf ein paar Modellorganismen zu konzentrieren, die man auch im Gewächshaus im Institutsgarten halten kann. Hat da gerade einer „Und wo bleibt dabei die Artenvielfalt?“ gerufen? Die Frage ist berechtigt, nur so leicht nicht zu beantworten.
Wenn Artenvielfalt nicht nur ein Wort bleiben soll, wird es ziemlich schnell ziemlich schwierig. Das weiß jeder, der zum Beispiel mal versucht hat, auf einer vergleichsweise artenarmen Parzelle einer deutschen Heidefläche alle dort wachsenden Pflanzen zu bestimmen. Das Ganze ist ohne fachkundige Anleitung nur schwer durchzuführen. Nun könnte man natürlich meinen, dass ein Botanischer Garten zur anschaulichen Ausbildung von Artenkenntnis und zum Studium der Beziehungen verschiedener Arten untereinander ein geeigneter Ort sei. Was wahrscheinlich sogar richtig ist, nur muss man dafür beides, nämlich das Wissen um die Systematik und um die Ökologie von Pflanzen, für erstrebenswert halten. Da aber beginnt der Kampf der Disziplinen an den biologischen Fakultäten, und der wird mit ungleichen Mitteln ausgetragen.
Weder ein Systematiker noch ein Ökologe wird aus seinen Forschungen Versprechen ableiten können, die der schnellen Entwicklung eines neuen Medikaments gegen Krebs oder gleich der Lösung aller Ernährungsprobleme durch genmanipulierte, frost- und parasitenresistente Nutzpflanzen dienen. Das hat Auswirkungen auf die Gelder, die von den verschiedenen Lehrstühlen für die Universität eingeworben werden können.
Geld wurde in den letzten Jahren auch im Gefolge von Großforschungsvorhaben wie dem Human-Genom-Projekt vor allem in molekular orientierte Forschung gesteckt. Obwohl sich die molekularbiologische Aufbruchstimmung an den biologischen Fakultäten durch den Zusammenbruch des neuen Marktes und den Abgang des ein oder anderen Start-up-Unternehmens etwas gelegt hat, sind die Früchte dieser Finanzierung noch in der Welt. An den reichen Instituten wurden viele Forscher ausgebildet, die mit exzellenten Referenzen auf den Lehrstuhlmarkt drängen. Molekularbiologen wurden in den letzten Jahren immer häufiger auf Ökologielehrstühle berufen, und in der Zoologie übernahmen Neurobiologen verhaltensbiologische Lehraufgaben. Sodass sich der Verband Deutscher Biologen (VdBiol) bereits vor drei Jahren auf dem Höhepunkt der Biotechnologie-Euphorie veranlasst sah, davor zu warnen, dass durch solch eine Praxis „in biologischen Fachbereichen die Kontinuität von Forschung und Lehre in den organismischen, systematischen und ökosystemaren Grundlagen der Biologie verloren zu gehen“ drohe. Denn „Molekularbiologen fehlen in der Regel diese Kompetenzen“. Dazu passt, dass im letzten Jahr an der FU, als es darum ging, ob eine Professur für Biochemie der Pflanzen oder eine für die Ökologie der Pflanzen höher zu besolden sei, die Biochemie siegte.
Bei solchen Entscheidungen spielen die realen Machtverhältnisse eine größere Rolle als das Argument, dass es doch für die Lehrerausbildung wichtig sein könnte, ökologische Kenntnisse ausführlich zu vermitteln. Ein Ende dieser Selbstreproduktion molekularbiologischer Institute mit der Tendenz der Ausbreitung in fachfremde Areale ist nicht in Sicht. An dieser Stelle sind auch die Bekundungen berühmter Artenvielfalts-Erhaltungs-Mahner wie Edward O. Wilson oder Robert M. May mit Vorsicht zu genießen. Lord May of Oxford, Mitglied des britischen Oberhauses, legte davon im letzten Oktober in einem Seminar im Wissenschaftskolleg in Berlin Zeugnis ab. Mit Emphase forderte er da immer wieder: Wir brauchen für die Biodiversitätsforschung die Besten.
Klar doch, die Besten wollen alle. Das ist nur fundamentaler Quatsch, denn ob die Kriterien, nach denen May die Besten sortiert, überhaupt je aus einem schlecht ausgestatteten Systematikinstitut kommen können, kann durchaus bezweifelt werden. Im Übrigen genügt ein Blick in ein beliebiges Buch von Charles Darwin, um zu begreifen, dass die Erfassung und Wahrnehmung von biologischer Vielfalt, ob bei Regenwürmern oder jungen Primaten, nicht der so genannten Besten bedarf. Dazu genügt es völlig, geduldig und konzentriert hinzusehen und das Beobachtete möglichst genau festzuhalten. Was zwar auch schwierig sein kann, aber der Artenvielfalt oder Biodiversität wird das letzlich egal sein. Nach einem der wenigen Axiome, auf die sich die Biodiversitätsforscher einigen können, gibt es den größten Artenreichtum sowieso in Gegenden, in denen das Geld nicht ist. Insofern ist Artenvielfalt in Berlin eigentlich gut aufgehoben. Wenn da nicht das Problem wäre, dass die Palmen im Tropenhaus des Botanischen Gartens das ganze Jahr über warm gehalten und gegossen werden müssen.