: Kategorischer Ackermann
Die Deutsche Bank fordert in ihrer Studie „Mehr Wachstum für Deutschland“ einen neuen Wertekanon – wegen der Deutschen (träge) und ihrer Politiker (machtbesessen). Ausgerechnet!
VON THILO KNOTT
Die Moral hat in Deutschland endlich einen festen Platz: Deutsche Bank, Taunusanlage 12 (Türme A und B), 60262 Frankfurt am Main. In einer jetzt veröffentlichten Studie mit dem Titel „Mehr Wachstum für Deutschland“ sucht das Geldinstitut nach den Ursachen und Lösungen des Reformstaus in Deutschland – und nach Rezepten für eine „gesündere und dynamischere Wirtschaft“. Schließlich sei Deutschland der „kranke Mann Europas“.
Das ist ihr Geschäft. Was allerdings verwundert: Die Deutsche Bank betreibt dieses mit einem kaum erwartbaren moralischen Rigorismus. Ausgerechnet die Deutsche Bank!, ist man geneigt zu sagen. Weil sich das Victory-Zeichen, das sich Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zum Auftakt des Mannesmann-Prozesses aus den Fingern sog, als Assoziation fest eingebrannt hat. Falsch. Es muss heißen: Gerade die Deutsche Bank!
Die Studie hat zwei Zielgruppen: den Deutschen an sich und deutsche Politiker als solche. Das Ergebnis ist bestürzend. Die Deutschen sind „reich, gleich, träge“, befinden sich in „kollektiver Depression“, riskieren fast nichts, machen es sich bequem „in der sozialen Hängematte“, sehen „Eigenverantwortung als Bedrohung“ an und haben „wenig Lust auf Politik“. Belegt wird der Deutschen Charakter mit umfassenden Statistiken, die Namen haben wie „Human Development Index“ oder „Leidensindikator“ – man möchte sofort in den Kongo auswandern.
Und die Politiker? Alles kühle „Stimmenmaximierer“ unter der Fuchtel der Lobbyisten, im Zweifelsfall auch Mitglied einer DGB-Gewerkschaft (ein Drittel der Abgeordneten) und entsprechend „marktskeptisch“, im „permanenten Wahlkampf“ mit entsprechend „kurzsichtiger Politik“ und angesichts dieser Dispositionen verantwortlich für eine „Nachhaltigkeitslücke von 270 Prozent des BIP“. Herhalten muss mal wieder Max Weber und dessen Bonmot vom Machtstreben all jener, die es in die Politik drängt – man möchte sofort alle in den Kongo schicken.
Und was fordern die Autoren dieser Studie? Nichts weniger als einen neuen „gesellschaftlichen Wertekanon“.
Wie könnte der denn ernsthaft aussehen? Abgesehen davon, dass die Deutsche Bank „Wettbewerb“ in die Präambel schreiben würde. Und: Käme dieser neue Wertekanon der Deutschen Bank überhaupt zupass? Die Politiker zum Beispiel. Sie würden nicht mehr nach Macht streben. Sondern die andere Seite Max Webers erfüllen – nämlich Politik als Beruf. Wären nicht mehr der Macht und den Lobbyisten (zum Beispiel der Deutschen Bank), sondern dem Gemeinwohl verpflichtet. Und dieses Gemeinwohl würde sich, was in Deutschland ja auch der Fall ist, beispielsweise über ein großes Bedürfnis nach Freizeit definieren. Dann könnten die Arbeitgeber mit ihren Forderungen nach Kürzung von Urlaubstagen und Verlängerung der Arbeitszeit ziemlich einpacken, weil in diesem Fall die deutschen Politiker ja – dem Gemeinwohl gehorchen. Die Deutsche Bank würde sich nach den Stimmen- und Machtmaximierern in der Politik dann wieder verzehren – und diese sofort zurückholen aus dem Kongo.
Trotzdem fordert die Deutsche Bank nun ein neues „gesellschaftliches Wertesystem“. Sinnvollerweise das eigene. Doch so einfach läuft das Geschäft mit der Moral nicht.
Moral hat in ausdifferenzierten Gesellschaften keinen festen Platz mehr, sie ist grenzüberschreitend und taucht im politischen Bereich (Spendenskandal) genauso auf wie im Sport (Dopingfall). Moral dient, bei Fehlverhalten etwa in der Politik, als vertrauensbildende Maßnahme: Seht her, wir haben den „Parteispendendieb“, das System funktioniert! In der Wirtschaft ist das nicht anders. Und die Deutsche Bank, Doppeltürme der deutschen Wirtschaftskraft, mit einer Verdreifachung des Gewinns im Geschäftsjahr 2003, steht derzeit unter moralischem Druck. Nicht wegen des Geldverdienens. Das ist ihre Aufgabe. Sondern wegen Ackermann.
„Die Leute neigen zum Moralisieren“, schrieb Niklas Luhmann, „weil das Moralschema gut/schlecht ihnen eine Chance gibt, sich selbst auf der guten Seite zu platzieren.“ Nichts anderes hat Ackermann zu Prozessbeginn auch gemacht, als er sagte: „Deutschland ist das einzige Land, in dem diejenigen, die Werte schaffen, vor Gericht stehen.“ Das ist Moralisieren, nicht Argumentieren. Wer also mit dem Finger auf andere zeigt, im Fall der Deutsche-Bank-Studie auf die Politiker, katapultiert sich zwar nicht gleich auf die gute Seite. Aber immerhin steht der Moralisierer auf der schlechten Seite nicht mehr alleine da – also nicht gar so schlecht.
Das ist dürftig für einen neuen Wertekanon. Konsequenterweise hätten die Autoren der Studie, in Abwandlung des Chefzitats, den kategorischen Ackermann gleich mitliefern können: Handle so, dass niemand vor Gericht gestellt wird, der in Deutschland Werte schafft!