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Archiv-Artikel

„SARS ist ein richtiger Schock“

Jörg Wuttke, China-Chef bei BASF, zu den wirtschaftlichen Folgen der neuen Krankheit SARS

taz: Herr Wuttke, tragen Sie Mundschutz zur Vermeidung einer SARS-Infektion?

Jörg Wuttke: Nur im Flugzeug.

Welche Marke?

Eine schöne amerikanische Maske von 3m.

Empfehlen Sie die auch Ihren Mitarbeitern?

BASF hat allen Mitarbeitern Masken zur Verfügung gestellt. Wir stellen ihnen außerdem frei, früher zur Arbeit zu kommen, um die Rush-hour zu vermeiden. Andere deutsche Firmen legen in ihren Fabriken Pausen ein, in denen die Anlagen desinfiziert werden. Oft geht es dabei um Psychologie. Die Leute sagen sich dann: „Die Firma tut was.“

BASF hat sehr viel Geld und Vertrauen in China investiert. Geht Letzteres jetzt verloren?

Wir investieren nicht für ein, sondern für fünfzig Jahre. Gerade deshalb sind wir daran interessiert, dass die Regierung hier Probleme erkennt, anspricht und etwas tut. Das war jetzt nicht der Fall. Die chinesische Regierung hatte das SARS-Problem sicherlich erkannt, aber dann mit viel Ignoranz versucht, es zu verschweigen. Erst als man das Vertrauen der Bevölkerung schon verloren hatte, wurden relativ krasse, gute Entscheidungen getroffen. Chinesische Politiker mussten für ihre Fehler Verantwortung übernehmen, und die Medienpolitik wird seither offener gestaltet. Für ausländische Investoren lässt sich daraus die Lehre ziehen, dass China unter Druck in der Lage ist, sein Verhalten zu ändern und transparent zu handeln.

Kann die neue Krankheit das chinesische Wirtschaftswunder vorzeitig beenden?

Für viele Chinesen ist der SARS-Effekt ein richtiger Schock. Man sieht das an den Panikkäufen, aber auch daran, dass der Verkehr in Peking weitgehend ruht und fast jeder eine Maske trägt, was nun wirklich nicht besonders sinnvoll ist. Zugleich aber zeigen die Erfahrungen in Guangdong und Hongkong, dass die Panikphase nur zwei bis drei Wochen währt. Mit jenem Schuss Realismus, der für China typisch ist, wird man dann wieder lernen zu produzieren und zu exportieren – obwohl der SARS-Virus vielleicht noch unter uns ist und nie ganz verschwinden wird. Insofern wird China keinen größeren wirtschaftlichen Schaden davontragen.

Wird der Schaden, wie nach Tschernobyl, größer sein?

Das lässt sich nicht vergleichen. In Tschernobyl waren die Risiken vorher bekannt, hier aber hat man ein neues Virus, einen ganz neuen Fall. Insofern hat die Pekinger Führung auf mich einen späten, aber guten Eindruck gemacht. Ich traue ihr außerdem zu, die Virusbekämpfung nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land auszutragen, wo aufgrund schlechter hygienischer und medizinischer Bedingungen eine Riesenherausforderung liegt.

Vorerst breitet sich das Virus am schnellsten in Peking aus. Schon ziehen einige deutsche Firmen ihre Mitarbeiter aus der Stadt ab. Wie lange können Sie den Ängsten noch trotzen?

Wer jetzt von hier nach Deutschland geht, hat das Manko, dort ein Aussätziger zu sein. Ärzte sagen Termine ab, Verwandte wollen einen nicht mehr sehen. Solche Fälle häufen sich. Die Panik in Europa ist so groß, dass selbst Gäste aus China, die schon drei Wochen dort sind, immer noch schräg angeguckt werden. Man redet wieder von der „gelben Gefahr“. Die Deutschen, die in China leben, haben also viel größere psychische Probleme, wenn sie nach Hause gehen, als wenn sie hier bleiben, die Gefahr sehen, sich richtig verhalten und mit SARS umgehen lernen.

INTERVIEW: GEORG BLUME