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Archiv-Artikel

Schlange stehen für die erste Wahl

In Afghanistan wird der für Juni vorgesehene Wahltermin immer unwahrscheinlicher. Weniger als zehn Prozent der Wähler sind registriert

DELHI taz ■ Drei Monate vor den afghanischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juni sind weniger als 10 Prozent der 10,5 Millionen stimmberechtigten Wähler registriert. Letzte Woche machte die UNO die Einschreibung der millionsten Wählerin zu einem Medienevent. Der Vorgang macht deutlich, welch riesiges Arbeitspensum in der kurzen Zeit bis Juni noch zu bewältigen ist. Der Zufall (oder die Regie) wollte es, dass das Ereignis in einem Registrierungsbüro in Kabul stattfand und dass es eine Frau war. Sie gab denn auch pflichtschuldig zu Protokoll, wie wichtig es sei, dass die afghanischen Frauen den Mut zeigen, sich in die Wählerlisten einzutragen. Oder eintragen zu lassen, denn vier von fünf Afghaninnen können weder lesen noch schreiben. Und vier von fünf Afghaninnen leben auf dem Land, weitab von Kabul und von Registrierungsbüros.

Die Verbannung der Frau aus der Öffentlichkeit war keine Erfindung der Taliban. Ihre traditionelle Verwurzelung in der Stammesgesellschaft sorgt dafür, dass Männer die weiblichen Familienangehörigen weiterhin hinter hohe Lehmmauern verbannen. Allerdings ist nicht nur das Patriarchat dafür verantwortlich, dass sich bisher erst geschätzte 2 bis 3 Prozent der Frauen als Wählerinnen registrieren liessen. Die Taliban und deren Verbündete – al-Qaida-Kader und die Hisb-i-Islami des ehemaligen Mudschaheddin-Führers Gulbuddin Hekmatjar – setzen alles daran, die Wahlen zu torpedieren. Wegen mangelnder Sicherheit wurden Registrierungsbüros bisher erst in den acht großen Städten des Landes eröffnet. Pläne der UNO für je hundert Büros in jeder der 32 Provinzen wurden bislang immer wieder verschoben.

Die fehlende Sicherheit hat bisher den Aufbau einer administrativen und polizeilichen Infrastruktur verhindert, und die Lücke wird nicht durch militärische Einheiten geschlossen. Die vier amerikanischen Provincial Reconstruction Teams (PRT) sind in Städten angesiedelt und nehmen ohnehin nur ihre eigene Sicherheit und jene der betreuten Zivilprojekte wahr. Die PRTs sollen nun auf zwölf aufgestockt werden und auch umfassendere Sicherheitsfunktionen wahrnehmen. Vergleicht man diese Zahl mit der Größe des Landes, das doppelt so groß ist wie Deutschland, lässt sich ihre beschränkte Wirkungsmöglichkeit erahnen. Auch die Ausweitung des Einsatzbereichs der Internationalen Schutztruppe Isaf unter Nato-Befehl ist noch nicht spruchreif. Es ist fraglich, ob etwa die westeuropäischen Staaten bereit sind, ihre Soldaten in Kampfzonen zu schicken. Auch der Aufbau der nationalen Armee kommt mühsam voran. Mangelnder Sold soll unter anderem dafür gesorgt haben, dass von den 7.000 neu vereidigten Soldaten bereits 1.500 desertiert sind.

Den Taliban hilft in ihrem Kampf gegen die Wahlen, dass sie auf Verbündete im Regierungslager zählen können. Sie erhalten die stillschweigende Unterstützung der konservativen religiösen Führer, von denen einige Warlords und sogar Verbündete der Regierung (und der USA) sind. Die Warlords befürchten die Etablierung ziviler politischer Organisationen, die ihre gesunkene Legitimität weiter schmälern könnten.

Allerdings könnte die Einhaltung des Wahltermins einigen von ihnen auch nützen. Denn die Regierung hat bis heute weder ein Wahl- noch ein Parteiengesetz verabschiedet. Drei Monate vor der Parlamentswahl gibt es somit offiziell noch immer keine politischen Parteien. Dies kommt den Warlords entgegen, denn die Abwesenheit einer starken unabhängigen Wahlkommission und von freien Parteien erleichtert ihnen die Durchsetzung eigener Kandidaten.

Dennoch drängen die USA und Präsident Hamid Karsai weiterhin auf die Einhaltung des Wahltermins. Karsai ist dringend auf eine Stabilisierung seiner Legitimität und die Ausweitung seiner Macht angewiesen, wie sie ihm die neue Verfassung zugesteht.

In den USA ist es Präsident Bush, der angesichts der anhaltenden Schwierigkeiten im Irak eine erfolgreiche Wahl in Afghanistan gut für seinen Wahlkampf gebrauchen könnte. Berichte aus Washington, wonach die USA angesichts der schleppenden Wählerregistrierung die Hoffnung auf fristgerechte Wahlen inzwischen aufgegeben haben, wurden in Kabul vergangene Woche zurückgewiesen. Sowohl US-Botschafter Zalmay Khalilzad als auch Präsident Karsai halten am Juni-Termin fest.

Auch die UN steht weiter tapfer zu ihrem Fahrplan und kündigte letzte Woche die Eröffnung von 4.200 Registrierungsstellen vor allem in den ländlichen Regionen an. Laut Reginald Austin, dem obersten UNO-Wahlkommissar, müssen mindestens 70 Prozent der Wähler eingeschrieben sein, damit von einem „legitimen“ Wahlprozess gesprochen werden kann. BERNARD IMHASLY