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Archiv-Artikel

Ohne Hilfen bald wieder in Haft

Immer mehr junge, aggressive Aussiedlerhäftlinge beunruhigen Gefängnispersonal und Politik. Eine nochmalige Integrationsoffensive mit zusätzlicher Sprachförderung könnte helfen

AUS BIELEFELD UWE POLLMANN

„Knast?“ sagt Alexander in einem Gefängnisgang der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede. „Das ist kein Knast hier, das ist wie ein Kindergarten in Russland.“ Damit spricht der 25-jährige Spätaussiedler, der wegen einer Reihe von Schlägereien und Diebstählen hier einsitzt, das aus, was viele junge russlanddeutsche Mitgefangene denken: „Man kann sich hier viel erlauben. Wenn man Glück hat, bekommt man noch Urlaub. Aus Russland kennen wir das nicht.“

Alexander, der mit zwölf aus Kirgisien nach Deutschland kam, ist einer von 130 Aussiedlern im Bielefelder Gefängnis. Vor zwei Jahren noch machten diese zehn Prozent der Insassen aus, heute ist es das Doppelte. Vor allem die harte Art, den Strafvollzug anzugehen, bereitet Wärtern zunehmend Sorgen. „Die machen Geschäfte, von denen wir wenig erfahren, weil 99 Prozent von uns kein Russisch verstehen“, so der Beamte Peter Gruchel. Mafiaartige Geheimbünde würden die Aussiedlerszene im Knast beherrschen und sehr gewalttätig gegen Mitgefangene vorgehen: „Das wird beim Duschen, beim Sport, beim Hofgang ausgetragen, wo wir es selten mitbekommen.“

Auch Übergriffe und Drohungen gegen Wachpersonal verunsicherten die Kollegen, sagt Gruchel, so dass Angst und Stress die Krankenrate nach oben schnellen lassen. Das beunruhigt ebenso Gefängnisleiter Robert Dammann. Man werde von einer Masse junger Russlanddeutscher überrollt, die überwiegend wegen gewalttätiger Überfälle und Schlägereien in Verbindung mit Drogenkonsum verurteilt wurden: „Die stecken es locker weg, wenn ihnen für 14 Tage der Fernseher entzogen oder der Kontakt beschnitten wird. Darauf ist die Anstalt nicht vorbereitet, da haben wir keine adäquaten Angebote.“

Die Erfahrung kann Jochen Welt, Aussiedlerbeauftragter der Bundesregierung, nur bestätigen. Vor allem aus Regionen mit hohem Aussiedleranteil in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen, weiß er von einem wachsenden Anteil junger Russlanddeutscher in den Gefängnissen zu berichten. Häufig seien diese Mitte der 90er Jahre in hoher Anzahl im Alter von 13 bis 17 Jahren gekommen und hätten kaum Sprachunterricht genossen, ergänzt Pfarrer Edgar-Ludwig Born, Aussiedlerbeauftragter der Evangelischen Kirche von Westfalen: „In der Schule haben sie es nicht vernünftig gelernt und auf Sprachkurse hatten sie später ohne Arbeit keinen Anspruch.“

Große Schuld an der Misere weist Jochen Welt (SPD) der damaligen Regierung zu, die Mitte der 90er Jahre bis zu 380.000 Aussiedler einwandern ließ, aber gleichzeitig Sprachkurse massiv kürzte. Rotgrün habe die Zuwanderungsrate für Aussiedler auf 100.000 pro Jahr begrenzt und die Gelder für Ausbildung und Qualifizierung in den Herkunftsländern erhöht. 2003 seien aus dem Osten nur 45.000 Einwanderungsanträge gekommen. Außerdem habe Berlin die Integrationshilfen deutlich erhöht.

Dennoch fordert Pfarrer Born noch größere Anstrengungen für jugendliche Aussiedler: „Es muss gerade jetzt massive Integrationsinitiativen geben. Man muss die jungen Leute kontinuierlich begleiten. Noch immer warten viele bis zu einem Jahr auf einen Sprachkurs.“ Darüber hinaus sei es notwendig, in den Gefängnissen JVA-Beamte und Seelsorger mit den kulturellen Hintergründen der Russlanddeutschen vertraut zu machen: „Da lässt sich Manches entspannen.“

Das meint auch der Bielefelder JVA-Leiter. Die Chancen russlanddeutscher Gefangener auf Wiedereingliederung ständen „nicht ganz so schlecht“, so Robert Dammann. „Die Gefangenen sind noch relativ jung und damit für Veränderungen noch zugänglich.“ Allerdings müssten sie so rasch wie möglich einen gründlichen Sprachunterricht sowie eine Chance auf Ausbildung und Beruf erhalten. „Für Angebote sind wir schon offen, wenn es vernünftige Angebote gibt“, bestätigt Alexander. Derzeit jedoch stehen die Aussichten für ein anderes Leben nach der Haft bei dem jungen Aussiedler nicht gut. Und die Statistik in den Haftanstalten zeigt, viele Leute in seiner Lage, sind nach einiger Zeit wieder im Knast.