: Wahl verloren, Maut gewonnen
Während die Bundes-SPD eine bittere Niederlage einfährt, rettet der Kanzler die Lkw-Maut. Und die CDU redet über den nächsten Bundespräsidenten
VON JENS KÖNIG, PATRIKSCHWARZ UND LUKAS WALLRAFF
Franz Müntefering, letzte Hoffnung der SPD und die Verkörperung des nach ihm benannten Münte-Effekts, machte es Sonntagabend zehn nach halb sieben kurz und knapp. Frei übersetzt lautet seine Analyse des Hamburger Wahlergebnisses: Wir haben die Wahl verloren, der Wechsel an der Spitze der SPD hat sich noch nicht ausgezahlt, aber wir hoffen, dass er das schon am 11. Juni bei der Europa- und der Landtagswahl in Thüringen tun wird.
Im Müntefering’schen Parteichinesisch klang das ein wenig anders, lief aber aufs Gleiche hinaus. Das SPD-Ergebnis sei nicht befriedigend, sagte der neue Parteichef, aber eben auch ein Hamburger Ergebnis. Gleichwohl habe die Bundespartei den Hamburger Genossen „keinen Rückenwind“ geben können. Aber vor ein paar Wochen hätte es noch schlimmer ausgesehen. Die SPD habe in der Schlussphase aufgeholt. Müntefering war bescheiden genug, das nicht auf seinen Einsatz im Hamburger Wahlkampf zurückzuführen.
Klaus-Uwe Benneter, der noch nicht gewählte neue SPD-Generalsekretär, machte in den hinteren Reihen des Willy-Brandt-Hauses in Berlin jedoch deutlich, dass die versammelten Hoffnungen der Sozialdemokraten tatsächlich an Müntefering hängen. Dieser sei in Hamburg gut aufgenommen worden, gab Benneter den Journalisten zu Protokoll. Müntefering erfreue sich auch in den Umfragen zunehmender Beliebtheit. Also sei der Wechsel an der SPD-Spitze ein guter Anfang gewesen. Dieser Anfang spiegelte sich auch darin wieder, dass Gerhard Schröder, der noch amtierende Parteichef, gar nicht mehr in der SPD-Zentrale war. Der rettete in seiner Rolle als Bundeskanzler in Verhandlungen mit Toll Collect derweil die Maut. Ein kleiner Achtungserfolg an diesem trostlosen Wahlabend. Dauerhaft helfen wird er der SPD kaum.
Dafür wird dieser Sonntag den Grünen dauerhaft den Kopf zerbrechen. Sie mussten sich schon gestern gedanklich zweiteilen. Als Parteipolitiker fanden sie sich das Hamburger Ergebnis „außerordentlich erfreulich“. Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer sprach von „einem der besten Ergebnisse, das die Grünen jemals bei einer Landtagswahl erzielten“. Als Koalitionspolitiker aber machen sich die Grünen in Berlin Sorgen. Nicht gerade erfreulich – so lautet ihr Kommentar des SPD-Ergebnisses.
Deshalb sprach Bütikofer in seiner ersten Stellungnahme lieber gar nicht über die Sozialdemokraten. Da sagte er nur scherzhaft: „Der Trend bleibt ein grüner Genosse.“ Auf Nachfrage erklärte Bütikofer dann aber, Rot-Grün stehe besser da, als „manche prognostiziert haben“. Deshalb wollte er auch „keine Verschiebung der bundespolitischen Verhältnisse“ erkennen. Diese Verschiebung, das ist den Grünen klar, könnte es nur geben, wenn Schwarz-Grün zu einer ernsthaften Option wird. Darüber redete offiziell dann lieber gar keiner mehr.
Die Christdemokraten sprachen vor allem über zwei Menschen, ein Glücks- und ein Sorgenkind: den Wahlsieger Ole von Beust und den Wahlverlierer Guido Westerwelle. Kaum waren die ersten Prognosen über die Bildschirme im Adenauer-Haus geflimmert, galt das Hauptaugenmerk der nächsten Wahl: Wer wird Bundespräsident? Genauer gesagt: Wird die FDP nach ihrer Hamburger Pleite eigensinniger oder gefügiger auf den Plan reagieren, einen CDU-Kandidaten zum Präsidenten zu wählen?
Demonstrativ mühte sich darum CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer, die liberale Bundesspitze zu schonen. „Das ist sicher kein schöner Tag für die FDP in Hamburg“, sagte er, „aber wir haben nichts dazu beigetragen, dass die FDP so ein schlechtes Ergebnis erhalten hat.“ Dann verband der CDU-Mann den Liberalen die Wunden mit netten Worten: „Fair“ wolle man sie weiterhin behandeln, „partnerschaftlich“, gar „kameradschaftlich“. Warum die Fürsorge? „Nachtreten ist nicht mein Stil“, sagt Meyer später an einem der Bistrotische im Atrium der CDU-Zentrale. Doch die Rücksichtnahme der CDU auf die FDP hat handfest egoistische Gründe. Zwei Befürchtungen treibt Christdemokraten mit Blick auf die Bundespräsidentenwahl um: Erneut geschwächt durch die Hamburg-Niederlage könnte FDP-Chef Westerwelle die letzten Reste seiner Autorität in den eigenen Reihen zu retten suchen, indem er die Drohung wahrmacht, einen Liberalen als Präsidentschaftskandidaten zu nominieren. Im abgemilderten Schreckensszenario der Union könnte Westerwelle zumindest versucht sein, Stärke zu demonstrieren, indem er die Unions-Vorsitzenden Angela Merkel und Edmund Stoiber beim geplanten Dreiergipfel nächste Woche CDU und CSU nötigt, eine Alternative zu ihrem scheinbaren Favoriten vorzuschlagen.
Für den ewigen Prince Charles der CDU, Wolfgang Schäuble, könnte dies mal wieder das Scheitern seiner Hoffnung auf höchste Ämter bedeuten. Immerhin, schnell soll die Entscheidung fallen, das hat Merkel gestern Abend angekündigt. Es sei eine Frage von Tagen, nicht mehr von Wochen.