bundespräsident
: Politik für Seismografen

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Die Hamburger hatten gestern noch gar nicht über ihre neue Bürgerschaft abgestimmt, da wurde bereits überall wild spekuliert, was ihr Votum wohl bedeuten könnte – für eine Wahl, die erst im Mai ansteht. Die möglichen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt, so schien es, mussten sich einer Art Primary in Hamburg unterziehen.

KOMMENTAR VON LUKAS WALLRAFF

Hätte es noch eines letzten Beweises bedurft, wie sehr sich Bundespolitiker in ihrer selbstreferenziellen Machtpolitikroutine im Kreis drehen, so wurde er gestern geliefert. Nicht einmal am Tag der Wahl im Norden befassten sich die Stoibers, Kochs und Bütikofers sowie ihre Begleitmedien mit den anstehenden Problemen in Hamburg, sondern einzig und allein mit dem Problem, das den Berliner Politikbetrieb zurzeit so sehr beschäftigt wie kein anderes: Wer wird Bundespräsident? Und vor allem: Wer setzt wen als Bundespräsidenten durch?

Während in Hamburg immerhin ein Parlament gewählt wurde, plauderte die politische Elite ungeniert über die Fragen, die für sie wirklich von Belang sind. Roland Koch warb – mal wieder – für seinen Parteifreund Schäuble als nächsten Präsidenten. Reinhard Bütikofer ließ – mal wieder – wissen, die Grünen würden auch einen Christdemokraten wählen, wenn er nur nicht Schäuble hieße. CDU-General Laurenz Meyer gab kund, die Union werde sich von der FDP „nicht auf der Nase herumtanzen lassen“. Alles sehr interessant – aber nur für Seismografen, die jede noch so kleine Bewegung der Parteitaktiker genau verfolgen und bewerten. Doch alles wird gesendet und gedruckt.

Traurig ist nicht das Geschacher um den Bundespräsidenten. Das hat es bei so gut wie jeder Wahl des Staatsoberhaupts gegeben. Dass die beteiligten Politiker aber nicht einmal mehr so tun, als würde es ihnen um die Qualität der vorgeschlagenen Personen gehen, stimmt schon bedenklich. Wenn Edmund Stoiber der FDP anbietet, für die Wahl eines Unionskandidaten könne man im Gegenzug das Steuerkonzept der Liberalen übernehmen – was ist das anderes als eine Missachtung des Amtes? Witzigerweise gibt allerdings so gut wie keine dieser öffentlichen Äußerungen darüber Auskunft, wie die Entscheidung am Ende ausfallen wird. Wichtiger als all das Berliner Geschrei sind dann möglicherweise doch ein paar hundert Stimmen von FDP-Wählern in Hamburg. Das, immerhin, ist doch tröstlich.

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