Finanzminister vor dem Offenbarungseid

Rot-Grün bereitet sich auf Nachtragshaushalt vor. Zusätzliche Schulden übersteigen offenbar 10 Milliarden Euro

BERLIN taz ■ Minister Hans Eichel (SPD) nähert sich der wirtschafts- und finanzpolitischen Realität. Bevor nächste Woche die neue, niedrigere Schätzung der Steuereinnahmen kommt, korrigiert das Finanzministerium seine bisherige Linie. Die neuen Koordinaten dürften so lauten: Statt die 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu unterschreiten, nähert sich das Staatsdefizit dieses Jahr der 4-Prozent-Marke. Statt 2006 im Wesentlichen ohne neue Schulden auszukommen, wird dieses Ziel erst später erreicht – wenn überhaupt.

Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums wollte diese Richtung gestern nicht ausdrücklich dementieren. Fraglich ist offenbar nur noch, wie die höhere Verschuldung gehändelt wird. Fällt sie nicht allzu gravierend aus, kann Eichel einen Nachtragshaushalt für 2003 vermeiden.

Aus den vergangenen Jahren verfügt der Minister noch über so genannte Kreditermächtigungen in Höhe von rund 10 Milliarden Euro. Dieser Schuldenaufnahme hatte der Bundestag bereits zugestimmt – doch Eichel war ohne sie ausgekommen. Nun könnte er sich ihrer bedienen, um den Offenbarungseid im Bundestag zu vermeiden.

Dieser würde darin bestehen, zum zweiten Mal nach 2002 einen Nachtragshaushalt ins Parlament einzubringen – ein gefundenes Fressen für die Opposition. Die freut sich heute schon darauf, das Scheitern der rot-grünen Finanzpolitik endgültig verkünden zu können.

Trotz aller Unannehmlichkeiten tendieren rot-grüne Finanzpolitiker aber dazu, einen Nachtragshaushalt zu verabschieden. Damit gestehen sie im Prinzip ein, dass die zu erwartende zusätzliche Finanzierungslücke im Bundeshaushalt größer sein wird als 10 Milliarden Euro. Bisher ist bereits eine Neuverschuldung von 18,9 Milliarden geplant. Das macht zusammen rund 30 Milliarden Euro.

Ein wesentlicher Grund für die Revision der Planung ist die Wirtschaftsentwicklung, die hinter den Annahmen zurückbleibt. Damit wird auch wieder ein Zuschuss aus Bundesmitteln für die Bundesanstalt für Arbeit (BA) in Nürnberg notwendig, die sonst die Arbeitslosen nicht finanzieren könnte. Entgegen vielen Warnungen hatte Eichel einen Zuschuss an die BA in seinem Budget-Entwurf nicht mehr vorgesehen. Nun räumt unter anderem die Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, Christine Scheel (Grüne) ein, dass etwa 5 Milliarden Euro nach Nürnberg überwiesen werden müssen. HANNES KOCH