: Wo Hand in Hand greift
aus Saarbrücken KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Das Saarland ist nicht wie „das Reich“. So jedenfalls nennen die erst im Januar 1957 „eingemeindeten“ Saarländer den großen Rest der Republik. Das winzige Land, eingeklemmt zwischen Rheinland-Pfalz, Lothringen und Luxemburg, lebt jedenfalls von den aus dem „Reich“ in die Landeskasse fließenden Almosen aus dem Länderfinanzausgleich und den Subventionen für die anachronistische Kohle- und Stahlindustrie. Das kratzt am Selbstbewusstsein der Saarländer – und löst bei den Spitzenpolitikern des Landes Profilneurosen aus, die sie mit absolutistischem Habitus zu kaschieren suchen. Der Prototyp dieser Spezies ist der aktuelle Wiedergänger der deutschen Sozialdemokratie, Oskar Lafontaine. Als Ministerpräsident regierte er das Land über 13 Jahre lang nahezu despotisch und produzierte einen Skandal nach dem anderen. „Das Reich“ war beeindruckt.
Seit 1999 ist der „schwarze Peter“ Müller der Spitzenmann an der Saar. Und so wie Lafontaine und dessen Nachfolger Reinhard Klimmt (SPD) hat auch Müller viele gute Freunde. Müllers bester Freund heißt Willi Steiner, 53. Der ehemalige Boss der Autozulieferungsfirma Firma Michels sitzt schon seit Ende 2002 in U-Haft – wegen des Verdachts auf Betrug und Konkursverschleppung. Mitte April erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Kreditbetrug in Millionenhöhe, Urkundenfälschung und Untreue. Um 20 Millionen Euro an Krediten soll er zwei saarländischen Banken mit gefälschten Papieren betrogen haben; außerdem häufte Steiner Steuer- und Sozialabgabeschulden in mehrfacher Millionenhöhe an. Bis zu seiner Festnahme war er auch der größte Einzelspender der allein regierenden CDU. 70.000 Euro soll Steiner an die Union ausgeschüttet haben. Das Kabinett Müller gewährte Steiner noch Ende 2002 eine Millionenbürgschaft. Da war dem Firmenchef schon die Steuerfahndung auf den Fersen. Und Steiner, dessen Lebensgefährtin mit der Ehefrau des Ministerpräsidenten verwandt ist, hatte mehr als einmal Steuern hinterzogen. Nur ein Kommunikationsproblem zwischen Finanzminister und Ministerpräsident? Die oppositionelle SPD echauffierte sich. Ein Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet, dem die Landesregierung angeblich wichtige Akten vorenthält. In denen soll es um die Protektion eines mit der Firma Michels sehr nachsichtigen Wirtschaftsprüfers des Finanzamtes durch den Ministerpräsidenten gehen – sagt die SPD. Fest steht: Der Mann ist das Taufkind des Vaters des Ministerpräsidenten.
„Das Reich“ ist (noch) nicht beeindruckt. Doch sollte der Untersuchungsausschuss zu dem Schluss kommen, dass die vom Kabinett Müller gewährte Bürgschaft für die Firma Michels in einem direkten Zusammenhang mit den Spenden für die Union stehen, wird sich das schnell ändern. Unter Lafontaine avancierten Skandale immer schnell zu „Reichsangelegenheiten“. Das war zuerst 1992 der Fall, als das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete, dass sich der damals 42 Jahre alte Ministerpräsident Lafontaine seit 1986 Monat für Monat ein Ruhegehalt als gewesener Oberbürgermeister von Saarbrücken auszahlen ließ. Ein „technischer Fehler des Gesetzgebers“, räumte der sozialdemokratische Linksaußen Lafontaine danach ein. Den habe er „widerrechtlich“ ausgenutzt, konstatierte damals der Landsrechnungshof. Im Juli 1993 musste Lafontaine dann 228.000 Mark zurückzahlen.
Da aber hatte Der Spiegel schon wieder zugeschlagen. Das Blatt monierte Verbindungen von Lafontaine und Klimmt zu einem in Saarbrücken stadtbekannten Zuhälter und mutmaßlichen Mörder. Zudem soll Lafontaine als Oberbürgermeister dem Betreiber einer Bar im Rotlichtviertel der Landeshauptstadt Steuervorteile verschafft haben.
Lafontaine tobte. Auf sein Geheiß hin änderte der Landtag mit seiner absoluten sozialdemokratischen Mehrheit im Mai 1994 das saarländische Pressegesetz. Im neu gefassten Paragraf 11 hieß es nun, dass Gegendarstellungen ohne jeden redaktionellen Zusatz abzudrucken und genau so prominent und auf der gleichen Seite zu präsentieren seien wie der zuvor beanstandete Artikel. Weil das Gesetz jetzt den Abdruck von Gegendarstellungen auch ohne jeden Wahrheitsgehalt und ohne die Möglichkeit der redaktionellen Richtigstellung erzwang, klagte die Saarbrücker Zeitung dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht – und verlor, weil sie den Instanzenweg nicht eingehalten hatte.
Nach dem Bericht des Spiegels sollen die beiden fidelen Sozialdemokraten über Jahre hinweg engste Kontakte zu dem später in Frankreich wegen bewaffneter Raubüberfälle zu fünf Jahren Haft verurteilten Bordellbetreiber und Unterweltkönig Hugo Peter Lacour gepflegt haben. In dessen Bar „La Cascade“ mit ihren Hinterzimmern jedenfalls seien Lafontaine und Klimmt ein- und ausgegangen. Der Frauenzeitschrift Marie Claire sagte Lafontaine seinerzeit, dass es durchaus einen wirksamen Schutz vor der „Droge Macht“ geben würde, nämlich: „Fressen, saufen, vögeln!“ Ob er denn auch korrekt zitiert worden sei, wollen danach schockierte Genossen von ihm wissen? „Ja“, sagte Lafontaine. Nur die Reihenfolge sei anders gewesen. Von der kriminellen Vita Lacours jedenfalls will Lafontaine „nichts gewusst“ haben. Doch die steuerliche Begünstigung der Bar „La Cascade“ durch den Oberbürgermeister Lafontaine (1976 bis 1985) bleibt bis heute als „Geschmäckle“ zurück. Übrigens: Nach einer Umfrage der Saarbrücker Zeitung von Ende Februar halten knapp 60 Prozent der Saarländer Oskar Lafontaine noch immer für den besseren Landesvorsitzendenden der SPD – im direkten Vergleich mit dem gegenwärtigen Amtsinhaber Heiko Maas. Lafontaine war es schließlich gelungen, „das Reich“ umfassend und nachhaltig zu beeindrucken. Wer aber ist Heiko Maas?
Und wer war Reinhard Klimmt? Sicher ein würdiger Nachfolger von Lafontaine. Und ganz vorne mit dabei, wenn es um das Einstreichen von – illegalen – Parteispenden ging. Nur durch die Zahlung eines Bußgeldes entging der damals schon von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zum Verkehrsminister ernannte Klimmt 1999 einem Strafverfahren wegen Untreue und Bestechlichkeit. Als Mitglied im Präsidium des 1. FC Saarbrücken hatte der Ministerpräsident schmutziges Geld von dem später wegen Betrugs im großen Stil zu zehn Jahren Haft verurteilten Caritas-Manager Hans-Joachim Doerfert angenommen. Zum großen Ärger des gerade erst gewählten Ministerpräsidenten Müller (CDU) musste im Zusammenhang mit dieser Affäre auch der neu ernannte Innenminister Hans Meiser (CDU), auch Mitglied im Präsidium des Vereins, gleich wieder seinen Hut nehmen. Im Landtagswahlkampf im gleichen Jahr verbriet Klimmt dann noch alleine viel schwarzes Geld von Doerfert, insgesamt 300.000 Mark. Im Gegenzug sollte die Landesregierung zwei Kliniken der Caritas im Saarland vom geplanten Bettenabbau aus Kostenersparnisgründen verschonen. Klimmt bekam auch noch ein paar wertvolle Bücher geschenkt. Und in Doerferts Traumhaus in Trier gewann der Ministerpräsident bei einer privat organisierten Lotterie „überraschend“ rund 7.000 Mark „Spendengeld“. Da war die Freude groß. Dass die Staatsanwaltschaft damals auf eine Anklage verzichtete und Klimmt gegen die Zahlung von lächerlichen 27.000 Mark Bußgeld laufen ließ, war dann auch nur ein Freundschaftsdienst – sagen noch heute böse Zungen.
Die Grünen behaupteten das seinerzeit sogar öffentlich. Genutzt hat ihnen das nichts. Sie waren da wegen ihrer eigenen Skandale bei den Kommunalwahlen schon aus fast allen Ortsparlamenten geflogen; und bei der Landtagswahl gab es für sie auch nichts mehr zu gewinnen. Dem ehemaligen grünen Landtagsabgeordneten und Landesvorsitzenden Hubert Ulrich war vorgeworfen worden, mit Rabatten für Volksvertreter erworbene Kraftfahrzeuge mit Gewinn an Dritte weiterverkauft zu haben. Im Jahre 2001 wurde das Ermittlungsverfahren dann – überraschend – eingestellt. Ulrich sei letztendlich nicht nachzuweisen gewesen, dass er sich nur persönlich habe bereichern wollen. Heute ist er wieder der Boss der saarländischen Grünen. Überraschend um kein Comeback bemühte sich bislang Ulrichs grüner Wahlverwandter Andreas Pollak. Er klaute als grüner Landtagsabgeordneter Badematten. Ehrlich.
Mit solchem Kleinkram gab sich der inzwischen vom Dienst suspendierte ehemalige Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Saarbrücken, Hajo Hoffmann (SPD), nicht ab. In seinem Prozess vor dem Amtsgericht ging es 2002 unter anderem um Carraramarmor – und strafrechtlich um Korruption und Untreue zum Nachteil der Stadt. Befreundete Unternehmer, die auch für die Stadt arbeiteten, werkelten an Hoffmanns Häuschen im Grünen herum – und rechneten die Kosten dafür mit dem Bauamt der Stadt ab. Auch Hoffmann verfügt – so wie alle anderen Protagonisten in diesen unendlichen saarländischen Korruptions- und Skandalgeschichten – über keinerlei Unrechtsbewusstsein. Er wird sich deshalb durch alle Instanzen klagen. Schließlich bekommt er auch als suspendierter OB Monat für Monat sein Gehalt weiter: 5.500 Euro netto.
Und weiter gehen die Saarländer ihren Weg. Im Untersuchungsausschuss „Müll“ des Landtags werden „verschwundene“ Millionen verhandelt, die der kommunale Entsorgungsverband Saar (EVS) verpulvert haben soll. Und es geht um mehrere Bürgermeister aus den Reihen von CDU und SPD, in deren Taschen dieses „verschwundene“ Geld vielleicht wanderte. Die Gerichte im Saarland werden sich demnächst vielleicht auch mit den Bilanzfälschungen beim städtischen Entsorgungsunternehmen ASS GmbH in Saarbrücken oder den Ungereimtheiten rund um das Millionenloch beim Ausbildungszentrum Burbach (AZB) beschäftigen müssen; beides Skandale der Saarbrücker SPD noch unter OB Hoffmann. Aufgearbeitet werden muss auch noch die „Affäre Calypso“. Das „sozialdemokratische“ Spaßbad war plötzlich um einige Millionen Euro teurer als veranschlagt. In schon laufenden Prozessen wegen diverser Ungereimtheiten beim Siedlungsbau spielt wenigstens ein Unternehmer eine unrühmliche Rolle, der schon am kostengünstigen Eigenheimbau von Ex-OB Hoffmann beteiligt war. Und, und …
Was also tun? Das Saarland zurückgeben an Frankreich? Das wäre eine Idee. Aber in Paris werden sie es nicht haben wollen. Bestimmt nicht.