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Eine Imbissbude für 70 Millionen Dollar

Schöne Beispiele für Börsenbetrug und Fehlentwicklung von Aktiengesellschaften liefert das „Schwarzbuch Börse“. Labsal auf die Seele des Kleinaktionärs. Eine Restaurant-AG sammelte Millionen, um deutsche Würstchen in den USA zu verkaufen

AUS HAMBURGHERMANNUS PFEIFFER

Nach 16 Monaten wagt erstmals wieder eine Aktiengesellschaft den Sprung an die Frankfurter Börse. Der Erfurter Halbleiter-Hersteller X-FAB will heute Details seines IPO (Initial Public Offering) bekannt geben und könnte noch im März seinen Börsengang starten. Weitere Börsengänge sind für 2004 geplant, darunter die Postbank, Auto-Teile Unger und Hapag Lloyd.

Zum neuen Mut hat vor allem der Deutsche Aktienindex DAX beigetragen. Seit seinem Allzeittief vor einem Jahr sprang der Dax von 2.189 Punkten auf über 4.100 Punkte. Angesichts solcher Rekordzahlen haben viele Anleger schön längst wieder vergessen, dass es an der Börse längst nicht immer mit rechten Dingen zugeht. Einige schöne Beispiele sind nun im „Schwarzbuch Börse“ nachzulesen, das die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre e. V. (SdK) herausgibt.

So kreist der Pleitegeier weiterhin über einem der früheren Hoffnungsträger, dem Medienunternehmen EM-TV. Trotz allgemeinen Börsenaufschwungs verschwand der Kurs des Möchtegern-Giganten 2003 tief im Keller. Ein gutes Beispiel geben auch die Manager der Condomi AG ab, die mit Sex und Präservativen 21,4 Millionen Euro versenkten. Aber nicht nur Kapitalvernichter würdigt das Schwarzbuch, auch andere Schattenseiten werden beleuchtet. Auf 70 Millionen Dollar Börsenwert brachte es etwa Passport. Die AG will den guten Geschmack nach Amerika bringen, deutsche Wurst und italienische Antipasti hatten einst schon Sonnenkönig Ludwig XIV. beglückt, warum also nicht auch Hamburger-Fans? Der Ausgang der Kostprobe ist noch offen, aber zunächst wurde den Anlegern von den Eigentümern der Passport AG viel Geld aus den Taschen gezogen. Was da am Frankfurter Freiverkehr gelistet wird, sei bisher nur eine Imbissbude in Massachusetts statt der angekündigten 200 Restaurants, beklagt die SdK.

Wenig Gutes hat auch Theobald „Müllermilch“ Müller für Aktionäre übrig. Den prominenten Molkereibesitzer und selbst ernannten „Patrioten“ (Müller) trieb es zwar ins Schweizer Exil, was den Steuerflüchtigen freilich nicht davon abhält, hierzulande seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Die Schwarzbuch-Autoren ärgern sich über ein Darlehen von 100 Millionen Euro an Sachsenmilch durch Mehrheitsaktionär Müller. Der Kredit verhindert, dass in der Bilanz ein Gewinn steht, was den Aktionären womöglich eine Dividende eingebracht hätte.

Der Kleinaktionärsverband malt ein Sittengemälde, in dem drei Gruppen von Menschen vorkommen: Entweder haben die Vorstände zu ihrem Vorteil und auf Kosten der Aktionäre gehandelt, oder die Bestimmenden hielten selbst beträchtliche Anteile, was sie ihre Vormachtstellung zum Schaden ihrer Miteigentümer ausnutzen ließ.

Harmlos erscheint angesichts solcher Vorwürfe die dritte Gruppe. Angeklagt werden auch Unternehmensverantwortliche, die zwar ohne eigenen Nutzen, dafür aber mit erheblichem Verschulden, das Vermögen der Aktionäre versenkt haben. Dies können auch die ganz Großen, wie eine Liste der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) belegt. Unter den fünfzig größten Börsenflops finden sich gleich sechs Titel aus dem DAX: Allianz, Bayer, Hypo-Vereinsbank, Münchener Rück, Telekom und TUI.

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