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: Außenpolitik ohne Fantasie

Mit den jetzt gewonnenen Vorwahlen ist John F. Kerrys erster Triumph komplett: Der Senator aus Massachusetts wird bei den Präsidentschaftswahlen den Amtsinhaber George W. Bush herausfordern. Zudem sind Kerrys Hoffnungen berechtigt, den Texaner zu schlagen. Und was hat die Welt außerhalb der USA davon? Die Umrisse einer Kerry’schen Außenpolitik werden nur langsam sichtbar. Immerhin: Sie versprechen eine Rückkehr der Vereinigten Staaten in den internationalen Konsens.

KOMMENTARVON STEFAN SCHAAF

Falls Kerry tatsächlich nicht nur gegen seine innerparteilichen Konkurrenten, sondern auch gegen Bush siegt, wird man vielleicht in einigen Jahren die Präsidentschaftszeit von George W. Bush zurückblickend als seltsame Abweichung von bewährten Traditionen bewerten – als eine Zeit, in der die USA nur ihre eigenen sicherheits- und weltpolitischen Interessen verfolgten und sich um den Rest der Welt nicht scherten, eine Zeit, in der militärische Macht zählte und nicht globale Zusammenarbeit.

Kerrys Ankündigung ist glaubwürdig, er werde wieder auf die Alliierten zugehen, die sich im Zuge des Irakkrieges der US-Politik verweigerten und daraufhin von Verteidigungsminister Rumsfeld wie Schulbuben in die Ecke gestellt wurden. Er will im Kampf gegen den Terrorismus andere Prioritäten setzen als Bush – wenigstens gilt das für die Zeit des Wahlkampfs. Denn Kerrys Besorgnis über die Situation im Irak spiegelt den Wunsch der Bevölkerung, keine weiteren Todesopfer unter den dort eingesetzten Soldaten mehr hinnehmen zu müssen.

Doch auch er hat im Senat für den Krieg gestimmt, auch er fürchtet zutiefst den gerne von republikanischer Seite erhobenen Vorwurf, die Demokraten seien Wackelkandidaten, eine Partei der Schwäche. Denn tatsächlich haben sie in vielen außenpolitischen Kontroversen nur taktiert und sind im Zweifelsfall umgekippt.

In der Debatte über die Außenpolitik des Landes haben die Demokraten seit dem 11. September Bushs Politik keine alternative Vision entgegengestellt. Nur ein Beispiel: Die mutige israelisch-palästinensische Übereinkunft von Genf, die außerhalb der etablierten Politik zustande kam, bildet ein Modell für eine Beilegung des Nahostkonflikts, doch niemand von den Demokraten griff die Initiative auf. Möglicherweise ist die Freude über die Abwahl von Bush berechtigter als die über die Wahl von Kerry.

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