fundgrube: berühmt statt berüchtigt
: Ein Architekturführer lässt Neukölln in ungeahntem Glanz erscheinen

Neukölln ist als sozialer Brennpunkt vielleicht berüchtigt, aber nicht berühmt für seine Architektur. Zu Unrecht, wie der „Architekturführer Berlin-Neukölln“ belegt. Vom 300 Jahre alten Britzer Schloss über die Hufeisensiedlung bis zu aktuellen Projekten wie dem Forum Neukölln stellen die Autorinnen Christiane Borgelt und Regina Jost insgesamt 80 Gebäude vor. Die bunte Sammlung ist soeben als dritter Sammelband der Reihe „Die Neuen Architekturführer“ des Stadtwandel Verlags erschienen.

Die Großstadt mit rund 310.000 Einwohnern hat viele Gesichter: Im Norden zeigt sich Neukölln gründerzeitlich geprägt als hoch verdichtete Innenstadt. Südlich des S-Bahn-Rings hat der Bezirk in den ehemaligen Dörfern Britz, Buckow und Rudow nach wie vor lockere Vorortstruktur. Auch von Gewerbe und Industrie ist Neukölln stark geprägt. Nicht trotz, sondern gerade wegen dieser heterogenen Struktur finden sich dort viele Beispiele spannender Architektur. Prominente Namen und gutbürgerliche Ästhetik finden sich in vielen Beispielen.

Der Volkspark Hasenheide ist in Berlin allgemein als große Grünfläche bekannt. Dass der Park eine architektonisch gewichtige Geschichte hat, lässt sich bei Borgelt und Jost nachlesen: Ursprünglich als Jagdrevier, Turnplatz und militärisches Übungsfeld genutzt, wurde es seit 1838 von Peter Joseph Lenné zum Landschaftsgarten umgestaltet. Zum modernen – seinerzeit avantgardistischen – Volkspark wurde die Hasenheide in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Der barock anmutende Körnerpark wiederum verdankt seine Existenz einer Kiesgrube, die ab 1912 begrünt wurde. Repräsentativ wurde Neukölln auch an der Schillerpromenade gestaltet: Die 50 Meter breite Straße erhielt Grünanlagen und einen zentralen Platz, auf der die Genezareth-Kirche steht. Die ab 1900 gebauten Häuser wurden mit großen, hellen Häusern versehen. Ab 1925 entstanden westlich der Promenade preiswerte Reformwohnungen für Arbeiter unter der Regie von Bruno Taut.

Der handliche Bildband im Postkartenformat führt separat durch zwölf Kieze des Bezirks und eignet sich als Grundlage und Begleiter für Touren durch Neukölln. Die Texte der einzelnen Gebäudeporträts umfassen selten mehr als eine Seite, oft deutlich weniger. In Verbindung mit den Fotos und Plänen verschaffen sie einen schnellen Überblick. Die Lektüre weckt Interesse und Neugierde, macht Appetit auf mehr. Wer ausführliche Hintergründe zur Neuköllner Architektur haben möchte, muss dann auf weiterführende Literatur zurückgreifen. Schade, dass eine entsprechende Empfehlungsliste fehlt – aber schön, so schnell Lust auf Neukölln zu kriegen! LARS KLAASSEN

Christiane Borgelt und Regina Jost: „Architekturführer Berlin-Neukölln“. Die Neuen Architekturführer, Sammelband Nr. 3. Stadtwandel Verlag, Berlin 2003, 68 Seiten, 5 €