Sternchen schauen

Kunst ist nicht wählerisch. Auch wenn einer davon erzählt, wie er einmal zufällig gesehen hat, dass Boris Becker Pizza futtert und Harvey Keitel aufs Klo geht, kann das literarisch wertvoll sein. Zumindest hofft das die relativ intellektuelle Internetgemeinde um den Journalisten und Buchherausgeber Anko Ankowitsch

VON CLAUDIA LEHNEN

Vielleicht ist ihm der Gedanke gekommen, als sich Harvey Keitel gerade das Hemd zurück in die Hose gestopft hat. An diesem freundlichen Sommerabend im Berliner Café Florian, als er aufsprang und für einen aberwitzigen Moment überlegte, ob er dem verehrten Schauspieler auf die Toilette hinterherhechten sollte. Vielleicht dachte er aber auch schon viel früher daran. Damals, Anfang der Achtzigerjahre, als ihm die Geschichte von Rosa von Praunheims defekten „Schwanzadern“ zugetragen wurde. Am Frühstückstisch, von einer Frau im Abendkleid, die Lotti Huber hieß und ihm zu dieser Zeit ebenso unbekannt war wie der berühmte „Bettwurst“-Regisseur. So genau weiß er das nicht mehr.

Anko (auch Christian) Ankowitsch hat nämlich ständig Ideen. Die Internetseite, auf der sich all diejenigen verewigen können, die wie er schon mal einen Prominenten gesehen haben, ist nur eine davon. Besser gesagt eine halbe, denn auch Tex Rubinowitz, in Wien lebender Zeichner, war Geburtshelfer. Unter hoefliche-paparazzi.de findet man jede Menge Zufallspaparazzi. Normale Menschen, die einem Prominenten begegneten und zu höflich waren, um nach schnöden Autogrammen zu fragen, die aber trotzdem zumindest ein bisschen Ruhm abhaben wollen.

Ein Stückchen Selbstliebe ist immer dabei, wenn die Paparazzi in aller Bescheidenheit von ihren Begegnungen der zweiten Art erzählen. Weil man spürt, dass einen gerade eine gewisse Exklusivität geküsst hat, wenn Harald Schmidt auf dem Flughafen „Morgen“ zu einem gesagt hat. Das ist natürlich etwas anderes als die allmorgendliche Begegnung mit dem Herrn Schmidt aus dem Nachbarhaus. Davon kann man keinem Internetportal erzählen, da hört keiner zu. Aber wenn Harald Schmidt, der Harald Schmidt, der jahrelang allabendlich, immer pünktlich um viertel nach elf Uhr mit uns im Wohnzimmer saß, auf dem Flughafen die Augen hebt und grüßt, dann hat das Nachrichtenwert. Dann finden das die höflichen Paparazzi derart spannend, dass sie vier Seiten lang über diese denkwürdige Begebenheit debattieren.

Wir erfahren, dass Mädchenschwarm und Schauspieler Ralf Bauer vor zweieinhalb Jahren einmal in Rom in der Nähe des Pantheons entlangspaziert ist. Der „Isch ’abe gar kein Auto“-Mann aus der Nescafé-Werbung soll dabei gewesen sein, und mindestens eine Dame ist laut der Paparazzo-Stimme bei dieser Gelegenheit vor Schreck erbleicht.

Franz Beckenbauer, so hören wir, wurde einmal beim Kamillenteetrinken gesehen – auf dem Münchner Flughafen, in der Senator Lounge. Gibt’s doch nicht. Paparazza Marina Rennhack hat bei dieser Gelegenheit obendrein entdeckt, dass dem Kaiser die Haare aus den Ohren wachsen.

Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die sich detailgenau für den Alltag ihrer Stars interessieren. Sie decken dadurch Skandale auf, sie machen unsere Demokratie transparent. Wir wissen jetzt, dass Roberto Blanco Lotto spielt, dass Dieter Bohlen bei warmem Bier und weiblicher Begleitung einmal einen ganzen Abend geschwiegen hat, dass Wigald Boning im Supermarkt Gesundes wählt („viel Obst und Gemüse und wenig Fleisch“, wie Franz Josef höflich undetailliert berichtet), Boris Becker dagegen schon mal mit Pizza-Hut-Schachteln auf dem Beifahrersitz seines G-Klasse-Mercedes gesehen wurde. Ein Fußball-Adliger, dem beim Kamillenteetrinken die Haare aus den Ohren wachsen, ein sprachlich wenig brillanter Tennisprofi, der Pizza futtert, und ein vollkommen verstummter Komponistenmillionär, der sich mit warmem Bier begnügt?

Es sind die ganz großen Geschichten, richtige Sternstunden, die bei hoefliche-paparazzi.de in die Unendlichkeit des World Wide Web diffundieren. Dank der dezenten Starbeobachter können wir unsere Idole nun besser einordnen. Wir wissen, was wir von ihnen halten sollen. Immer haben wir geglaubt, dass Alfred Biolek den goldenen Kochlöffel verdiene oder zumindest die Risottomedaille in Silber. Aber laut Paparazza Dora Mundt hat er einmal im Extra-Supermarkt eine profane Dose Letscho gekauft. Sie kann es bezeugen. Zonen-Tomatenpampe auf den Tellern eines Koch-Quotenkönigs? Wir sind entsetzt. Das hätten wir nicht erwartet.

Ankowitsch sitzt in seinem Kreuzberger Büro, schenkt Wasser in dickwandige Gläser und erklärt, warum die Paparazzi, die höflichen, so etwas Besonderes sind. Die Letscho-Geschichten sind nämlich nicht etwas, worauf der Wiener sein Internetportal reduziert wissen möchte. Auch mit anderen Paparazziseiten wie www.promisichtung.de möchte der Wiener nicht auf eine Stufe gestellt werden. Versteht man seine Idee als banale Prominentensichtungsseite, „hat man etwas gründlich missverstanden“. Denn, so sagt der 43-jährige Journalist: „Wir sind millionenweit entfernt von diesen B-Movies.“ Seine hellen Augenbrauen ziehen für einen Moment um in die Stirn, er dehnt jedes Wort. Es hört sich ein wenig arrogant an und ist wohl auch so gemeint, wenn er sagt: „Das ist hier eine relativ intellektuelle Veranstaltung.“ Wer sich höflicher Paparazzi nennen will, sollte nicht nur einen Prominenten gesehen haben, sondern auch über ein gewisses literarisches Talent verfügen. So wie der Paparazzo Hausmacherleberwurscht, der eine Begegnung mit Harvey Keitel zum Anlass nimmt, von sich selbst zu erzählen. Von sich und seinem Steißhaar, das sich einst schmerzhaft in seinem Hintern verkapselt hatte.

Da die Autoren, meist Journalisten, also gewissermaßen selbst Stars sind, erscheinen ihre Geschichten teilweise unter Pseudonym, das allerdings meist – so viel Eitelkeit muss sein – in einem Autorenverzeichnis am Ende des Buchs mit einer launigen Biografie aufgeschlüsselt wird.

Anko Ankowitsch hat übrigens noch mehr solcher Ideen wie die Promiseite. Vor Jahren schrieb man in seinem Internetportal beispielsweise über intime Fruchtzwergerlebnisse in den Achtzigerjahren, eine Zeit lang dienten im Gemüseforum sogar Brokkoliröschen und die Beziehung des Autors zu selbigen als literarische Grundlage. Na ja, und jetzt sind es eben zufällige Begegnungen mit Prominenten.

Kunst ist nicht wählerisch, sie wuchert aus den Ritzen jeder blöden Idee, wenn diese nur in die richtigen Hände gerät. Davon scheinen Anko Ankowitsch und seine „Pappen“, wie sich die Forumsmitglieder liebevoll gegenseitig nennen, überzeugt zu sein.

„Das Thema Prominenz ist nur eine Wand, gegen die wir Squash spielen“, bekräftigt Papapaparazzo Ankowitsch. Was nicht bedeutet, dass der Vater der Internetseite nicht der Meinung wäre, gerade diesmal hätte er ein ganz besonders gutes Thema an Land gezogen. „Die Promigeschichte ist bisher das erfolgreichste und langlebigste Projekt“, sagt er. Deshalb ist er auch ein wenig stolz darauf. So stolz, dass er das Internet seiner Flüchtigkeit wegen nicht mehr für den rechten Platz zur Präsentation seiner Idee hält.

2002 erschienen bereits die Fruchtzwerginitiationsriten und die Sojamilcherfahrungen nach Tschernobyl im Hardcover unter dem Titel „Es geht voran. Ein Album der 80er Jahre – zusammengetragen von Surfern im Internet“ (Böhlau Verlag: Wien, Köln, Weimar). Jetzt sind auch die literarische wertvollsten Ergüsse des Forums der Paparazzi bei Eichborn in Buchform erschienen. Als Promilexikons von A bis Z – bereit für die Unvergänglichkeit.

Eingebunden zwischen zwei festen Buchdeckeln, werden sich die Promigeschichten diesem Status wohl ein wenig näher fühlen. Das wird das kollektive Selbstwertgefühl des Wieners und seiner literarisch ambitionierten Paparazzi steigern. Kunst hat manchmal aber auch etwas mit Selbstüberschätzung zu tun. Ankowitsch ist sich dessen bewusst. Vielleicht, das kalkuliert er ein, werden alle sagen: „Net scho wieder die Deppen!“

CLAUDIA LEHNEN, 25, lebt als freie Autorin in Bergisch Gladbach. Zuletzt wurde sie von der Redaktion bei Lidl gesehen. Sie kaufte eine Dose Erbsen mittelfein. Das Buch von ANKO ANKOWITSCH (Hrsg.), „Wie Franz Beckenbauer mir einmal viel zu nahe kam. Wir höflichen Paparazzi“ (302 Seiten, 16,90 Euro), erschien im März 2004 im Eichborn Verlag