Baukunst oder Fischstäbchen?

Schutz-Gesetz schützt nicht: Wilhelmshavens Südzentrale steht so lange in der Denkmalliste, bis man sie schleift

aus WilhelmshavenEberhard Syring

Die Erkenntnis, dass Bauwerke aus der industriellen Phase, die ihre Funktion eingebüßt hatten, nicht unbedingt im zwanghaften Modernisierungswahn dem Bagger zu opfern seien, begann sich in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts durchzusetzen. Damals pilgerten viele nach Wilhelmshaven, um zu sehen, in welche Richtung eine Neunutzung gehen kann. Das rühmliche Beispiel war das Kulturzentrum Pumpwerk. Heute ist die Stadt am Jadebusen im Begriff mit einem Negativbeispiel im Umgang mit dem baulichen Erbe von sich reden zu machen – wenn nicht im letzten Moment eingelenkt wird. Der Abriss droht der so genannten Südzentrale.

Der Name bezeichnet das Kraftwerk der ehemaligen Kaiserlichen Werft – die Stadt verdankt ihre Gründung vor nicht mal anderthalb Jahrhunderten wilhelminischem Großmachtstreben mit entsprechender Flottenpolitik. Die Werft wurde nach 1945 demontiert. Das Kraftwerk arbeitete noch bis in die frühen 90er Jahre. Danach stand es still – und verfiel.

Dabei war allen klar, dass es sich bei der 1908 begonnenen Anlage des Marinebaumeisters Fritz Riekert um eines der wenigen architektonischen Meisterstücke der Stadt handelt: Der Giebel der Maschinenhalle wird gern mit Peter Behrens Berliner AEG Turbinenhalle verglichen, einem wichtigen Vorläuferbau der architektonischen Moderne. Gegenüber der monumentalen Wucht von Behrens Bau demonstriert die Südzentrale aber Momente, die für die Moderne noch prägender wurden: Die Leichtigkeit und Eleganz des architektonischen Ausdrucks ermöglicht auf der Grundlage ingenieurstechnisch ausgereizter Stahltragwerke. Anklänge von Jugendstil-Schwung unterstreichen die großartige Raumwirkung der Maschinenhalle. Seit längerem steht das Bauwerk unter Denkmalschutz. Aber die Südzentrale ist nicht nur als architektonisches Einzelstück zu sehen, sondern auch als Teil eines stadträumlichen Ensembles. Mit der nur wenig älteren Kaiser-Wilhelm-Brücke – einst die größte Drehbrücke der Welt – bildet sie die markante Silhouette an der Waterfront der Wilhelmshavener City.

Fast scheint es, als würden die beiden geschwungenen Giebel des Südzentrale die beiden Hochpunkte des technischen Bauwerks paraphrasieren. Eigentlich ein Postkartenmotiv – wenn sich nicht die Südzentrale nach zehn Jahren baulicher Vernachlässigung im rauen Seeklima in einem etwas desolaten Zustand befände. Der Besitzer des Areals tut nichts für ihren Erhalt. Im Gegenteil: Inzwischen hat er eine Abrissgenehmigung erwirkt. Der Denkmalschutz ließ sich wegen angeblicher wirtschaftlicher Unzumutbarkeit aushebeln. Ob der Abriss erfolgt, ist trotzdem fraglich, denn dieser ist teuer, und aufgrund des Bebauungsplans ist eine andere als eine gewerbliche Nutzung nicht möglich.

Mit dem Geld für den Abriss ließe sich auch die Substanz sichern, argumentieren Abrissgegner, die sich in einer immer größer werdenden Initiativgruppe mit dem Namen „Forum Wilhelmshaven“ zusammengefunden haben.

Eine Aktivistin ist Corinna Janßen. Sie hat gerade ihr kulturhistorisches Studium an der Fachhochschule Hildesheim abgeschlossen. In ihrer Diplomarbeit realisierte die Wilhelmshavenerin eine Ausstellung, in der die Geschichte und der gegenwärtige Zustand des Baudenkmals dokumentiert wird. Die informative Schau kann man zurzeit im Marinemuseum ihrer Heimatstadt besuchen – in Sichtweite zum ausgestellten Objekt.

Mit eindruckvollen Fotos wird dargestellt, welche ästhetische Kraft noch in dem arg zerzausten Baudenkmal steckt. Es ist noch nicht zu spät, appelliert Günter Märtins von der Initiative an die Lokalpolitiker. Er denkt dabei vor allem an den zu erwartenden Aufschwung infolge des neuen JadeWeserPorts im Norden der Stadt. Die Stadt müsse ihrer zukünftigen Rolle als europäischer Umschlagplatz mit neuen kulturellen Repräsentationsformen gerecht werden – beispielsweise mit der zu einer Multihalle für kulturelle Veranstaltungen umfunktionierten Südzentrale.

Nicht nur ihre architekturhistorische Bedeutung, auch ihre städtebauliche Lage zwischen City und attraktiver Waterfront spricht dafür. Ob sich die Lokalpolitiker überzeugen lassen? Noch denken diese eher an andere Nutzungen für das Gelände. Ein angrenzendes Tiefkühlunternehmen meldet seit Jahren Anspruch an auf Erweiterungsflächen für seine mit Fischstäbchen gefüllten Kühlhallen.