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Archiv-Artikel

Fressen und Töten

Die Formation Weißer Rausch inszeniert auf Kampnagel Wolfgang Knuths Kammeroper „,Bringt sie um, soll Gott sie doch richten‘ (George W. Bush)“

von KARIN LIEBE

Da singen zwei. Ein Mann im Cowboydress und eine Frau im Pelzmantel. Sie geben, begleitet von vier Streichern, lang gezogene klagende Töne und Worte von sich, die kaum zu verstehen sind. Wie das bei Opern eben so ist.

Dies hier ist zudem eine moderne Oper, und sie hat sich viel vorgenommen: mit der Emotionsmaschine Musik ein rational begründetes Konstrukt, die Todesstrafe in Amerika, in seinen Ursachen zu entblößen. Dazu greift sich die Mezzosopranistin (Christina Ascher) auf Kampnagel aus Bündeln voller Klamotten und Plastikteilen mal eine Perücke, mal Sandalen, mal ein Plastikgewehr. Sie zieht sich um und aus, setzt die schwarze Lockenperücke auf, dann die kurze Blondhaarperücke. Der Tenor (Clemens Löschmann) greift derweil nach Wasserpistole und Plastikbällen, steigt aus den Stars-and-Stripes-Stiefeln, entblößt dabei seine Sternchensocken und setzt die George-Bush-Maske auf. Ja doch, wir verstehen langsam: Amerika, Plastik- und Wegwerfkultur. Im Hintergrund flimmern Comics. Kulturkritik im Musiktheater.

Aber gehört zu den Insignien der amerikanischen Kultur auch die Todesstrafe? Der Titel der Oper Bringt sie um, soll Gott sie doch richten (George W. Bush) ist so plakativ wie die gesamte Uraufführung. Wolfgang Knuths Musik kennt neben expressiven auch leise Töne, doch Autor und Regisseur Holger Müller-Brandes setzt aufs Grelle und Bunte. Schon nach kurzer Zeit ist die Kampnagel-Bühne ein Schlachtfeld – genauer gesagt ist sie das, übersät von winzigen Plastiksoldaten, von Anfang an. Achtlos zertrampeln die Sänger später die Spielzeugfigürchen, werfen Gummiknüppel und Plastikautos darauf. So verdoppelt sich der Konsumwahn im Requisitenrausch, ohne dass neue Erkenntnisse dabei herauskämen.

Auch emotional bewegt sich wenig, bis auf Gefühle von Erstaunen und Ekel. Denn Clemens Löschmann, im prolligen Unterhemd rittlings auf einem Fernseher sitzend, schafft es, mit vollem Mund zu singen, wobei er sich unaufhörlich Würstchen, Ketchup und Weißbrot in den Mund stopft. Er stopft und kaut und singt, die Brocken fliegen nur so durch die Gegend, der rote Saft spritzt auf seine Hose, und langsam dringt der Ketchupgestank bis in die hinterste Ecke. Hemmungsloses, maßloses Fressen und Konsumieren, reicht das dem amerikanischen Durchschnittsbürger noch nicht zur Bedürfnisbefriedigung? „Ra“ singt der Tenor dann plötzlich ganz klar, „che“ antwortet kehlig die Mezzosopranistin, „lust“ singt er wieder. Die Lust am Töten als ultimativer Kick?

Im zweiten Teil der Show wird die Todesstrafe dann exzessiv verbalisiert, als würde Brandes plötzlich einfallen, dass er jetzt langsam zum Punkt kommen muss. Das Streichquartett Formation Weißer Rausch und Dirigent Michael Petermann springen auf und versammeln sich um den großen Holzstuhl (elektrischer Stuhl!). Dort skandieren sie Dialogfetzen zwischen Otto Ohlendorf, einem deutschen Ökonomen, der 1941/42 Massenhinrichtungen plante, und Jane Hull, der Gouverneurin von Arizona, die 1999 ein Todesurteil gegen zwei Deutsche vollstrecken ließ. Zum Brüllen im Chor hüpfen zwei Mädchen im roten Badeanzug und zwei Jungs in roter Badehose auf einer Hüpfburg herum. Baywatch meets Todesstuhl. Plakativer geht‘s nimmer. Interessant: Auch die Hupfdohlen wirken nach minutenlangem Springen völlig erschossen. Ja, die Spaßkultur kostet viel Kraft. Und auch wir sind erschöpft, als die Luft aus der Hüpfburg wieder rauszischt, die Skandierer verstummen, die Fernseher erlöschen. Was nun?

nächste Vorstellungen: 10., 15. 5., 20 Uhr, Kampnagel