: „Die USA sind kein Imperium“
Interview MICHAEL STRECK
taz: Mr. Schmitt, Ihre Organisation erwartet von der US-Politik die Erhöhung der Militärausgaben, Regimewechsel in so genannten Schurkenstaaten anzustreben und Amerikas globale Führungsrolle auszubauen. Ihre Wunschliste hat sich unter Präsident Bush erfüllt. Oder fehlt noch etwas?
Gary Schmitt: Ja, unsere Verteidigungsausgaben sind immer noch zu gering. Betrachtet man den Bedarf für neue Waffensysteme und unsere weltweiten Einsätze, fehlen noch 50 bis 100 Milliarden Dollar. Auf der größeren strategischen Ebene, da bin ich ganz zufrieden.
Also ging es im Irak nicht vordergründig um Massenvernichtungswaffen, Terrorismus oder Saddam Hussein, sondern um die Ausweitung der amerikanischen Einflusssphäre?
Dass die Bush-Regierung nach dem 11. September den Irak ins Visier nahm, war nicht zwangsläufig. Sie hatte auch so genug zu tun. Doch sie kam zu der Erkenntnis, das die Verbindung von Massenvernichtungswaffen und weltweitem Terror das größte Problem darstellt. Diesem begegnet man am besten durch Regimewechsel. Irak ist nur Teil eines großen Puzzle. Wir haben eine ganze Reihe von schwachen oder autoritären Staaten, die unfähig oder unwillig sind, Terrorismus zu bekämpfen.
Welcher ist als nächstes dran?
Viele glauben, dass wir einen klaren Fahrplan haben. Das ist falsch. Weltpolitik funktioniert so nicht. Man sollte klare Prinzipien haben, die dann auf sich verändernde Umstände anzuwenden sind.
Sie propagieren Amerika als globale Führungsmacht. Welche Vorteile bringt die Weltpolizistenrolle?
Die Vorteile liegen auf der Hand. Eine Führungsmacht kann Bedingungen stellen und ihre Interessen besser durchsetzen. Die Kehrseite: Wir sind Zielscheibe von Staaten und Gruppen, die die internationale Ordnung zu ihren Gunsten ändern wollen. So bot unsere Militärpräsenz in Saudi-Arabien nach dem Golfkrieg 1991 Ussama Bin Laden eine ideale Angriffsfläche.
Was spricht gegen eine multipolare Welt?
Sie schafft keine Stabilität. Das Argument, Kräftegleichgewichte garantieren Frieden und Sicherheit, greift nicht. Staaten sind immer in Bewegung, gewinnen oder verlieren an Macht, eine Balance existiert nicht wirklich. Und ein Gleichgewicht des Schreckens wie im Kalten Krieg ist auch nicht erstrebenswert. Dann doch lieber eine unipolare Welt, in der die Führungsmacht, zweifelsohne mit reichlich Fehlern behaftet, ein demokratisches Land ist.
Was veranlasste Sie eigentlich zu der Gründung Ihrer Organisation?
Die amerikanischen Konservativen boten in den 90er-Jahren, was Außenpolitik anbetrifft, ein zerrissenes Bild zwischen Realpolitikern wie Brent Scowcroft und Henry Kissinger und den Neoisolationisten, die sich überhaupt nicht in internationalen Angelegenheiten einmischen wollten, sei es aus moralischen Gründen oder einfach, weil sie „Big Government“ ablehnen. Wir vermissten den in der Reagan-Zeit vitalen Ansatz des Internationalismus. Wir wollten dieser Stimme konservativer Außenpolitik wieder größeres Gewicht verleihen. Dazu kam die Erkenntnis, dass wir nun mal – wider Willen – eine herausragende Position in der Welt hatten, wir uns jedoch so verhielten, als ob dies nicht der Fall sei. Wir waren auf einmal die einzige Supermacht, wussten aber nicht, was wir damit anfangen wollten. Die Militäraktionen unter Clinton waren meist Ad-hoc-Einsätze, denen eine strategische Vision fehlte. Und ehrlich gesagt, wir glaubten, unsere neue Machtfülle bietet die Möglichkeit, die Welt weiter zu demokratisieren.
Neokonservative Denker werden spätestens seit der Debatte über den Irakkrieg mit Vorwürfen überschüttet. Sie hätten die US-Außenpolitik gekidnappt, wollten ein US-Weltreich errichten und würden nur in der Lage sein, die Welt in Schwarz-Weiß-Mustern zu reflektieren.
Auch Intellektuelle können Urteile über richtig und falsch fällen. Es ist überhaupt keine Frage, dass die Menschen im Iran oder in Nordkorea bessere Regierungen verdient haben und beide Regime eine massive Sicherheitsbedrohung darstellen. Es ist jedoch verkehrt, daraus abzuleiten, es gebe nur einen Weg, mit diesen Staaten umzugehen. Jedes Land ist verschieden, und kein Neokonservativer hat bislang dafür plädiert, in Nordkorea einzumarschieren.
Wird der Einfluss der Neokonservativen auf die Bush-Regierung überbewertet?
Ja, definitiv.
Und woher kommt der Eindruck der starken Beeinflussung?
Das ist vor allem eine europäische Sichtweise. Man übersieht, dass amerikanische Politik oft viel offener und durchlässiger ist als in Europa. In bestimmten Zeiten können sich neue Ideen viel rascher verbreiten. Ändert sich in Washington die Politik, können sich viele Europäer nur eine Verschwörung vorstellen. Die neokonservative Vision half, die Politik der Bush-Regierung zu formen, sie ist jedoch nicht die einzig treibende Kraft.
Wäre die Umsetzung der neokonservativen Agenda ohne den 11. September möglich gewesen?
Absolut nicht.
Sie vergleichen die Rolle der USA gern mit Sheriff Will Kane im Western „High Noon“ und argumentieren, dass Machtfülle grundsätzlich nichts Schlechtes sei, solange die Motive anständig seien. Macht lädt jedoch zum Missbrauch ein. Demokratien haben daher das, was Sie „Checks and Balances“ nennen, entwickelt. Wie kann sichergestellt werden, dass Amerika seine Macht nicht missbraucht?
Demokratien haben interne Kontrollmechanismen, über die andere Regierungsformen nicht verfügen. Als Bush auf dem Flugzeugträger das Ende des Irakkrieges verkündete, bekam er am meisten Applaus, als er sagte, die Soldaten würden nun nach Hause kommen. Wir werden zwar für imperalistisch gehalten, doch in Wahrheit sind wir nicht besonders scharf aufs Kämpfen. Zudem haben wir nichts gegen internationale Kontrollen, solange sie funktionieren.
Welche funktionieren?
Allianzen zwischen demokratischen Staaten, wie die Nato zum Beispiel. Und, auch wenn es Sie verwundern mag, die UNO. Nur verfügt sie nicht über die institutionellen Kapazitäten, eine gemeinsame Linie in drängenden Fragen wie Nordkorea zu finden. Eine Sicherheitsratsresolution zu Nordkorea ist unwahrscheinlich, der Golfkrieg war eher eine Ausnahme.
Die UNO ist in Ihren Augen also nicht überflüssig?
Wir müssen uns darüber klar sein, was die UNO leisten kann und was nicht. Es ist wie mit einem lahmen Gaul. Den reitet man nicht zum Pferderennen. Wir versuchen die UNO für Aufgaben einzusetzen, zu denen sie nicht in der Lage ist. Beispiel Kosovo. Die Intervention dort war nicht von der UNO sanktioniert. Dennoch war es richtig, dass wir es getan haben. Ich will weder das Völkerrecht noch die UNO abschaffen. Aber es muss den neuen Verhältnissen angepasst werden.
Welche Rolle hat Europa in Ihrem Weltmacht-Konzept?
Europa ist unser wichtigster Partner. Seien wir doch ehrlich. Wir können zwar alleine Kriege führen, aber für viele andere Aufgaben brauchen wir die Hilfe aus Europa. Leider hat Amerika das faszinierende europäische Experiment in der letzten Zeit zu wenig gewürdigt.
Supermacht zu sein hat seinen Preis. Gewaltige Militärausgaben führen entweder zu Einschnitten in Bildung, Umweltschutz, Sozialprogrammen oder einem enormem Haushaltsdefizit.
Wir könnten ohne Probleme weitere 100 Milliarden Dollar für Verteidigung ausgeben. Die Wirtschaft würde sich freuen. Und über das Defizit ist niemand wirklich besorgt. Unter Reagan waren unsere Militärausgaben und das Haushaltsloch weit höher und letztlich hat es uns auch nicht geschadet.
Warum tut sich Amerika schwer damit, anzuerkennen, dass es eine Imperialmacht ist?
Weil wir keine sind. Die Tatsache, dass wir weltweit Militärbasen besitzen, macht uns noch lange nicht zu einem Imperium. Wir haben mehr Soldaten in Deutschland, Japan und Südkorea als in manchen Bundesstaaten Einwohner. Dennoch haben wir keinen Einfluss auf Entscheidungsprozesse in Berlin, Tokio oder Seoul. Wenn überhaupt, dann sind wir eine sehr merkwürdige Imperialmacht, die die Souveränität der Staaten, die wir befreit haben, überhaupt nicht mehr beeinträchtigt. Und was unsere ökonomische Macht anbetrifft, ist sie über internationale Verträge gebunden. Keine Frage, wir verfügen über die größte Machtfülle weltweit, doch es gibt einen Unterschied zwischen den Möglichkeiten und dem tatsächlichen Einsatz. Ich glaube nicht, dass wir uns im Sinne der eigentlichen Definition imperialistisch verhalten.
Und warum nicht?
Unser Imperialismus ist am Ende nie wirklich imperial. Die interessante Geschichte der USA ist, dass wir nie besonders erpicht waren, andere Länder zu erobern. Meist sind wir in die Kriege hineingestolpert. Natürlich war niemand hier in den 40er-Jahren heiß darauf, nach Berlin zu ziehen und den Deutschen die Demokratie zu schenken. Auch den Balkan wollten wir nicht aufgrund strategischer Pläne besetzen, oder wer wäre in den 80ern auf die Idee gekommen, in Afghanistan einzumarschieren. Wir reagieren, wenn andere nicht in der Lage sind, Probleme allein zu lösen, oder wenn wir angegriffen werden. Wir hatten Pearl Harbor und den 11. September.
Wenn Bush die nächste Präsidentschaftswahl verliert, schrumpft auch Ihr Einfluss?
Bush gewinnt die Wahl.