: Spielen gegen die Todesangst
Erziehungswissenschaftlerin Gabriele Knapp über Musikerinnen im Konzentrationslager
Seit 1990 forscht die Erziehungswissenschaftlerin Gabriele Knapp über Musik in den Konzentrationslagern der Nazis. Knapp ist die erste und einzige Wissenschaftlerin, die diese Thematik gezielt bezogen auf Frauen untersucht hat. Heute kommt sie zu einem Vortrag ins Sophie Drinker-Institut und spricht über Frauenchöre im Konzentrationslager Ravensbrück.
Frau Knapp, wie kamen Sie auf das Thema?
Ich habe mich ja vorher intensiv mit der Wirkung von Musik beschäftigt, habe zum Beispiel mit autistischen Kindern gearbeitet, nach den Reizen der Musik gefragt, warum sie in der Lage ist, Menschen aus Isolationen herauszuholen. Da stieß ich zwangsläufig auf die Frage, ob das Musikmachen in Konzentrationslagern eine ähnliche Wirkung hatte. Das bestätigen die Überlebenden – Musik war Lebenshilfe, Überlebenshilfe.
Wie verhält es sich mit dem Problem der Erinnerung?
Meine ersten Interviews, Anfang 1990 gemacht, waren sehr viel klarer. Heute sind die Überlebenden älter, die Interviews manchmal schwerer verwertbar.
Was machen Sie heute bei Interviews anders?
Ich war damals zu nassforsch. Ich kann heute viel mehr lassen, zuhören, ich habe nicht mehr so den Antrieb „für die Wissenschaft“, sondern ich lasse die Frauen sprechen ...
Was bedeutete das Musikmachen für die Häftlinge?
Wir müssen bedenken, dass die Frauen mehrfache Traumatisierungen erfahren haben, die unserer Interpretation absolut Grenzen setzen. Musizieren war, jedenfalls wenn es heimlich, also freiwillig geschah, ein Medium zum Erhalt der Selbstachtung und Selbstbehauptung. Etwas anderes war die befohlene Musik der SS, zu der die Frauen gezwungen wurden. In Ravensbrück zum Beispiel weigerten sie sich allem Anschein nach, eine Kapelle zu gründen, was sie sich eher leisten konnten, weil dort die Todesangst nicht die Dimension von Auschwitz hatte.
Was wurde später aus den Frauen, die Berufsmusikerinnen waren?
Da gibt es die Spanne von „Zittern, wenn sie nur eine Geige sehen“ bis zu „Jetzt erst recht“. Das Anknüpfen an den vorherigen Stand war in keinem Fall möglich, das Üben im KZ wurde nicht als Professionalisierung empfunden, sondern als Spielen gegen die Todesangst.
Fragen: Ute Schalz-Laurenze
Vortrag: heute um 20 Uhr, Sophie Drinker-Institut, Außer der Schleifmühle 28