zwischen den rillen
: Einer spielt mit allen

Der Wuppertaler Bassist Peter Kowald war der Netzwerker des Free Jazz, nun sind zwei Platten aus seinem Nachlass erschienen

VON FELIX KLOPOTEK

Es ist eine wenig tröstliche Floskel, dass jemand, der kürzlich gestorben ist, eine Lücke hinterlässt. Im Fall von Peter Kowald, der völlig überraschend am 21. September 2002 kurz nach einem Auftritt in New York gestorben ist, trifft dies allerdings zu. Peter Kowald, 1944 geboren, war ein Veteran der europäischen Free-Jazz-Szene, in Wuppertal aktiv seit den frühen Sechzigerjahren, ein Mitbegründer der Berliner Free Music Production, früher Musikerkooperative, später Label, und als Bassist einer der wagemutigsten und kompromisslosesten Musiker der Szene.

Aber Hand aufs Herz: Free-Jazz-Veteranen gibt es viele, radikale Instrumentalisten auch, und das Werk Kowalds ist auf zahllosen Tonträger und in einigen Filmen und Büchern bestens dokumentiert. Worin besteht die Lücke? Peter Kowald hat es vermocht, der oft so hermetischen Improvisationsmusik eine zusätzliche Dimension, einen außermusikalischen Kontext zu verleihen. Free Jazz ist nie Teil einer Jugendbewegung gewesen. Abgesehen von den Sechzigern, als die Musik in den USA zu einem flüchtigen Element der Black-Power-Bewegung wurde und in Westeuropa eng mit Fluxus und Performance-Art verbunden war, war sie nie an Großbewegungen angekoppelt, existierte für sich, selbstgenügsam, isoliert, aber immer auf dem Sprung wiederentdeckt zu werden, wie dies alle paar Jahre am linken Rand der Feuilletons und des Musikjournalismus passiert.

Peter Kowald hat diese Abgeschiedenheit ein ums andere Mal überwunden, er war der Networker unter den Free Jazzern. In den Siebzigern organisierte er Happenings mit dem Free-Jazz-Zentralkomitee Globe Unity Orchestra: In Wuppertal ließ er die Kollegen auf einen belebten Innenstadtplatz antreten, ein bergisches Akkordeonorchester marschierte auf, eine griechische Folkloregruppe funkte dazwischen, die Improvisatoren standen mit Alphörnern auf den anliegenden Dächern, und das alles während der Einkaufszeit.

Wenn Kowald mal ein Stipendium hatte, etwa für einen längeren Aufenthalt in New York, dann spielte er überall und wirklich mit jedem, holte die Kollegen anschließend nach Wuppertal. Oder er blieb, 1994/95, ein Jahr zu Hause, veranstaltete in seiner geräumigen Wohnung Konzerte, Diskussionen, organisierte Ausstellungen, lud die Nachbarn ein oder die Tänzer von Pina Bauschs Kompanie. Immer ging es darum, die freie Improvisation als Medium zu behaupten, das eine soziale, libertäre Praxis ausdrückt. Jeder kann mitreden, zuhören, Fragen stellen. Freie Improvisation wird zu etwas Alltäglichem, und in dem Moment, wo es gleich nebenan stattfindet, verwandelt es auch den Alltag.

Kurz vor seinem Tod gründete er mit Wuppertaler Freunden ein eigenes Label, Free Elephant. Jetzt sind die ersten Aufnahmen, von Kowald noch zur Veröffentlichung bestimmt, erschienen. Auch sie machen die Lücke deutlich. „Deep Music“, je ein Duett mit den Bassisten William Parker und Peter Jacquemyn, im negativen Sinn: Das sonst so verbindliche, Kontext produzierende musikalische Wesen Kowalds erschließt sich hier eben nicht. Es ist klassische, geradezu typische Improvisationsmusik. Harte, ehrliche Arbeit, aber Kowalds Magie, seine archaischen Melodien, sein eigentümlicher Flow, seine großen Klangwellen, die Mischung aus Alltäglichem und Nicht-Banalem kommen nicht zur Geltung.

Ganz anders dagegen die „Global Village“-Einspielung. In dieser Formation bündelten sich seine Erfahrungen zwischen Weltenbummlertum und den Aktivitäten in der Wuppertaler Provinz. Das Prinzip war einfach: Jeder bringt seine spezifische musikalische Sozialisation und kulturelle Identität mit – und dann wird improvisiert. Die Vermittlung der unterschiedlichen Biografien findet im freien Spiel statt, eine schöne, friedliche Praxis. „Global Village“ war in den letzten Jahren ein perfekt eingespieltes Trio, das neben Kowald aus der chinesischen Wölbrettzither-Spielerin Xu Feng Xia und der Wuppertaler Geigerin Gunda Gottschalck bestand. Für diese Aufnahmen öffnete sich die Gruppe auch für Gäste, den japanischen Elektroniker und Turntablisten Otomo Yoshihide, die koreanische Komungo-Spielerin Jin Hi Kim, die amerikanische Sängerin Pamela Z. Das Ergebnis sind 18 kurze und überraschende Tracks. Sie sind durchaus monoton, darin aber paradoxerweise variantenreich. Die Musik folgt einer Linie, und trotzdem gibt es immer wieder Abweichungen, Brüche, großartige Details, etwa wenn Yoshihide die Phrase „Lick my dick!“ einscratcht.

Es ist Musik, die man im Ohrensessel genießen kann, am besten aber, wenn man was nebenher macht: spülen, Bücher sortieren, den Hund bürsten.

Peter Kowald: „Deep Music“; ders.: „Global Village“ (Free Elephant/NRW) www.free-elephant.de