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Archiv-Artikel

La pour La

DAS SCHLAGLOCH von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH

Lassalle und Lafontaine kandidieren für den Themenabend „Bourgeoise Stiefkinder der Bewegung“

Um einer Herzenssache wegen im Duell zu sterben, scheint ein achtbarer Abgang. Um einer Hirnsache wegen im Duell sich zu verrumpelstilzen, ein verachtbarer. Dazwischen liegen 140 Jahre Sozialdemokratie – der man aus diesem Anlass ein herzliches „Frischkäse!“ zurufen möchte. Respektive den Sozis die frechen Franzosen aufs Brot schmieren: Von -ssalle bis -fontaine. Was mit La anfängt, hat kein Glück gebracht. Lamento.

Ferdinand Lassalles romantischer Tod im Morgengrauen – das Herz schlägt nicht mehr links – riss eine Ideenwelt mit ins kühle Grab, deren die im Folgenden verarmte Spezialdemokratie bis heute bitter entbehrt. Gerade die soziseits ratlos mitverwaltete Massenarbeitslosigkeit lädt ein, den alten Feuerkopp noch mal anzuhören: Der bourgeoise Intellektuelle Lassalle – darin Gottvater all derer, die man später „Salonbolschewisten“ zieh – postulierte ein „ehernes Lohngesetz“. Vulgo: Egal, wie viel Lohnerhöhung die Proleten den Bonzen aus der Tasche pressen – hintenrum nimmt’s der Kapitalist ihnen durch Preiserhöhung und Inflation wieder ab. Tarifpolitik ist danach weiße Salbe; deshalb sei ans Eingemachte zu gehen: an den Besitz von Produktionsmitteln.

Die Anmutung eines Perpetuum mobile – was auf der einen Seite errungen, wird auf der anderen gleich wieder geraubt – weht uns in der Tat an, betrachten wir die nun 30 Jahre währenden Basteleien und Misserfolge im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Egal, welche Konzessionen Politik und Gewerkschaften der Wirtschaft abrangen – hintenrum stieß der Kapitalist sich mit Rationalisierung, Produktionsverlagerung und Entlassungen wieder gesund: ehernes Jobgesetz. Der Rest der Weissagung des Gründervaters sei jubiläumsbedingt wohlwollendem Schweigen anheim gestellt. Statt im ehernen Lohnelend zu verrecken, sind beide – Prinzipale, Proleten – dummreich geworden; jedenfalls im Konsensdeutschland nach 45. Solange der DGB die regelmäßigen Lohnrunden als Allheilmittel hinstellt, die Unternehmerverbände dagegen als Wachstumsmörder, gilt: Das Ritual des großen Feilschens hat nicht geschadet.

Zu Zeiten Lassalles fraßen die Städte das Land, die Industrie die Manufakturen und die Lohnhöllen unterschiedslos Knechte und Bauern. Ihm und vielen der Seinen war die fremdbestimmte Lohnarbeit ein krebswucherndes Monster – wie da auf die Idee kommen, dieses Monstrum „gerecht zu verteilen“, damit auch bestimmt jeder etwas abbekommt? Lassalles Dämon war nicht Arbeitslosigkeit, sondern Arbeitszwang, und es kostete Jahrzehnte, wenigstens Kinder und Todkranke vor der Schufterei zu schützen.

Ein rechtschaffen zünftiger Zugang zur sozialen Frage auch im Wortsinne – die Zünfte, Gilden, Handwerkerbünde waren Quellen der sozialen Bewegung und oft Keimzellen der frühen Gewerkschaften. Aus ihnen und in ihnen lebte die Idee fort, dass letztlich Arbeit und Arbeitsmittel wieder in eine Hand gehören – die ins Gigantische hochutopierte Manufaktur: Der Staat möge, so der Lassalle’sche Ansatz, Produktivassoziationen fördern. Hoppla: Mittelstandsförderung? Ich-AG? Arbeitslose als Existenzgründer? Der alte Filou Lassalle macht Urlaub im Hartz.

Aufschimmerte Lassalle’sches Gedankengut auch in der montanen Mitbestimmung und in gewerkschaftseigenen Kooperativen. Ein spröder Sieg, jedenfalls dann zur Verfügung über die Produktionsmittel geladen zu werden, wenn’s an die Beerdigung von Kohle- und Stahlindustrie geht. Und – Neue Heimat, Coop – manch ernüchterndes Beispiel enthemmter Schnellverbonzung. Der Jubiläumsbesuch bei Ferdinand Lassalle endet also mit dem bittersüßen Kompliment, dass der Parteigründer Wucht und Wirkung dieser Tat selbst unterschätzte, sein Ruf nach Fabriken in Arbeiterhand verhallte, weil angemessenes Geld in Arbeiterhand allgemein auch als was Schönes befunden wurde. Überlebt vom genossenschaftlichen Ideal hat allein etwas Folklore – die notorische sozialdemokratische Anredeform.

Der andere große Selbstunterschätzer der SPD kandidiert ebenfalls für den Themenabend „bourgeoise Stiefkinder der Bewegung“. Wie Lassalle die Weltrevolution gern mal auf Wiedervorlage nach dem Liebeshändel legte – brannte Lafontaine mit seinem Ego durch, statt zähneknirschend der mächtigste Nebenkanzler zu bleiben, den die SPD je zum Vorsitzenden hatte. Ja, nicht über-, sondern unterschätzt hat er sich: Als Superminister und Parteichef hätte er Schröders Mobbing – so erlebte es Lafontaine – dulden und aussitzen müssen. Hat er nicht geschafft, und der angerichtete Schaden ist irreparabel. Der gewaltsame Tod, zweitens, verbindet die beiden Biografien Lassalles und Lafontaines dann auch noch: Heute haben wir einen sozialdemokratischen Bundespräsidenten, weil die Geisteskranke, die Johannes Rau erstechen wollte, mit dem Messer in Lafontaines Hals landete. Keine Heldentat, ein makabrer Zufall – aber doch ein ausreichend deutliches Indiz, dass die Kinderkacke, mit der die Hirschdarsteller an der aktuellen SPD-Spitze einander bewerfen (man kommt an dem harschen Wort nicht vorbei): unwürdig ist. Ein Parteifest, überschattet von seiner eigenen Travestie als Oskarverleihung, attestiert Lafontaine, dass er die Schnauze nicht halten – und Schröder, dass er Widerworte nicht dulden kann. Arm.

Statt im ehernen Lohnelend zu verrecken, sind beide – Prinzipale, Proleten – dummreich geworden

Mehr Parallelen sind ohne Knirschen und Brechstange von Lassalle und Lafontaine nicht zu haben. Der Saarländer steht nicht für Verstaatlichung oder die Idee der selbstbestimmten Kooperativen, die die SPD längst dem grünen Rand zur Adoption freigegeben hat. Unrühmliche Rempeleien gegen die freie Presse hat sich Lassalle nicht zuschulden kommen lassen; Lafontaine als Polemiker der Tarifpolitik wäre heute Lassalles innerparteilicher Gegner. Allein die Tatsache, dass Bebel das ideologische Erbe seines großbürgerlichen Gründergenossen in Schach zu halten hatte, führt noch einmal das Vakuum vor Augen, das Lafontaine in der heutigen Partei hinterließ. Das Sammelsurium an Mach-, Wünsch- und gerade noch Verkraftbarem, das als „Agenda 2010“ epochaler heißt, als es ist, ruft vielerlei Detailkritik hervor. Einen Gegenentwurf, ein in sich schlüssiges und verständliches Modell sozialer Sicherung mit fernem Haltbarkeitsdatum hat die Partei nicht generiert. Einmal mehr gewahren wir das eindrucksvolle Schauspiel, wie die regierende Sozialdemokratie sich gegen die programmierende Sozialdemokratie zu Tode siegt.

Der Schriftsetzer August Bebel – Lassalles tariffrommer Antagonist – soll seinem jeweiligen Nachfolger als SPD-Chef seine Taschenuhr vermacht haben. Seit dem an Kleinlichkeit nicht armen Rauswurf Willy Brandts hält sich hartnäckig das Gerücht, der habe sich geweigert, die Sozidevotionalie an seinen Nachfolger weiterzureichen. Befragt, warum gleichwohl die Nachfolger mit der Bebeluhr winken könnten, druckste Brandt: Es hätten sich oft die wechselnden Spitzen der SPD nicht gut leiden mögen – da seien schon längst jede Menge Fälschungen im Umlauf. Na, das wäre doch ein versöhnliches Bild zum 140sten: Alle, alle stehen sie auf der Bühne, und jeder winkt mit seiner einzigen echten Bebeluhr, und dann, passt doch: La Ola.