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Archiv-Artikel

Wohnen in der Ballermann-Zone

Kaum ist die Sanierung der Kölner Altstadt abgeschlossen, gibt es Streit um die zukünftige Nutzung des Viertels: Denn die Interessen der Gastronomen stehen gegen das Ruhebedürfnis der Anwohner

VON INGE BRUNNER

„Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“, sagt Wilhelm Wichert, Wirt des Haxenhauses und Vorsitzender der Interessengemeinschaft Altstadt. Der Gastronom warnt davor, die Altstadt zum Wohngebiet zu deklarieren – das sei ein Schuss, der nach hinten losgehe. „Wir sind der einzige Messestandort, dessen Altstadt zu Fuß von der Messe aus erreichbar ist. Die Besucher wollen sich amüsieren – dazu müssen wir ihnen Möglichkeiten bieten“.

Der Haxenwirt fürchtet um seine unternehmerische Freiheit, weil die Stadt einen neuen Bebauungsplan für das fertig sanierte Renommierviertel in Arbeit hat. 1978 wurde der Sanierungsplan erstellt, Anfang der 80er mit der Umsetzung begonnen. Jetzt könnte man sich über die gelungene Arbeit freuen – wenn der Sanierungsplan nicht als Abschluss einen neuen Bebauungsplan vorsähe. Im Zuge dessen stimmten im Stadtentwicklungsausschuss Anfang März alle Parteien mit Ausnahme der FDP dafür, das Gebiet in ein „besonderes Wohnviertel“ umzuwidmen, das heißt in ein Viertel, in dem Dienstleistungsbetriebe und Wohnungen nebeneinander existieren.

Langfristig soll dies laut Manfred Waddey, Stadtentwicklungsexperte bei den Grünen, die Altstadt vor einer weiteren Ansiedlung von Billigschuppen und heruntergekommenen Spelunken bewahren. „Schauen Sie sich doch mal Düsseldorf an, dort kann ja keiner mehr in der Altstadt leben – eine Ballermannkneipe reiht sich an die nächste. Soweit darf es bei uns nicht kommen.“ Das Niveau des Gastro-Angebotes in der Altstadt solle gehoben werden. Für die bestehenden Kneipen, Restaurants und Imbissbuden gebe es aber Bestandsschutz. Der Haken ist allerdings: Gibt ein Pächter die gastronomische Nutzung eines Objektes auf, darf kein neuer Bewirtungsbetrieb hinein. Auch größere Umbauten, zum Beispiel von Kneipe zu Disko – die immer von Amtsseite genehmigt werden müssen – hätten dann keine Chance mehr. So würde das Veedel möglicherweise auf Dauer gastronomisch „ausgetrocknet“.

Dennoch will man den Kneipen eine Chance lassen. Michael Zimmermann von der SPD: „Ich könnte mir gut vorstellen, dass in einigen Gebieten, zum Beispiel in den Seitenstraßen rund um den Heumarkt, das Gastro-Angebot sogar noch ausgeweitet wird.“ Aber in der Umgebung hochwertiger Wohnkomplexe wie dem Brüggemannhaus solle keine weitere Gastronomie entstehen. „Ich habe selber mal drei Jahre im Brüggemannhaus gewohnt und weiß, wie nervend es sein kann, die ständigen Bier- und Fressbudenevents vor der Nase zu haben. Das müssen wir eindämmen.“ Die Lösung sei, straßenzugweise Wohn- und Amüsierbereiche aufzuteilen.

FDP-Fraktionsvorsitzender Ralph Sterck fordert dagegen mehr Freiheiten für Kneipiers. „Man versaut denen das Geschäft mit solchen Regelungen. Natürlich sollten hochwertige Wohngegenden gesichert werden.“ Aber wer in die Altstadt ziehe, der sollte wissen, dass öfter mal Remmidemmi angesagt ist. Wem das nicht passe, der wohne doch besser in Junkersdorf. Auch würden die Altstadtwohnungen weiterhin lebhaft nachgefragt – ein Indiz für die „einmalige, gelungene Mischung aus Wohn- und Erlebnisviertel in der Altstadt“, so Sterck.

Über einen Kompromiss zur Rettung des „Zentrums Kölscher Befindlichkeit“, als das die Industrie- und Handelskammer (IHK) die Altstadt identifiziert, wollen Politiker, Wirte, IHK, Bürgerinitiativen und Verwaltung im April diskutieren.