: Berechnend gut gerechnet
DAS SCHLAGLOCH von VIOLA ROGGENKAMP
Ich selbst war und bin keine Feministin.
Gesine Schwan in der „Frankfurter Rundschau“, 9. 3. 04
Ein öffentliches Bekenntnis. Bekenntnisse können von Vorteil sein. Gerade auch vor der Wahl in das höchste Amt, das in diesem Staat zu vergeben ist. Horst Köhler zum Beispiel hat öffentlich bekannt, für Angela Merkel zu sein. Er möchte, dass sie Bundeskanzlerin wird. Darum wird er Bundespräsident. Doch ob Gesine Schwan jemals oder niemals für den Feminismus war, ist völlig unerheblich. Sie wird niemals jemals Deutschlands erste Bundespräsidentin werden.
Ein Direktor wird Deutschlands Bundespräsident, ein Gelddirektor. Angela Merkel will Horst Köhler, den ehemaligen Direktor des Internationalen Währungsfonds. Nichts gegen Geld, die Deutschen sprechen oft über Geld. Auch Angela Merkel spricht über Geld und wie und wo und bei wem es eingespart werden kann. Horst Köhler wird sie darin unterstützen, seine wichtigste Aufgabe als ihr Bundespräsident wird es sein, „den Menschen in unserem Lande“ (Merkel) dieselben Sparmaßnahmen schmackhaft zu machen, für die Rot-Grün demnächst abgewählt werden wird.
Horst Köhler will Angela Merkel. Das bekennt er in aller Öffentlichkeit. Vor zweihundert CDU-Kreisvorsitzenden sagte er am vergangenen Samstag, im Falle seiner Wahl zum Bundespräsidenten werde er unbequeme Appelle zu weiteren Reformen an die Politik richten. Er sage das in einer Phase, „wo ich davon ausgehen muss“, dass dann „noch ein Sozialdemokrat Bundeskanzler ist“, und er werde „im Prinzip den gleichen Ansatz haben, wenn dann hoffentlich jemand von der CDU – Angela Merkel – Bundeskanzlerin ist“.
Selbstverständlich hat sich dieser Mann damit noch vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten als Kandidat völlig disqualifiziert. Nicht bloß, weil er Angela Merkel als Bundeskanzlerin vorschlägt und sich damit unmittelbar vor seiner eigenen Wahl zum Bundespräsidenten als offen parteilich zeigt. Er besitzt außerdem die Dreistigkeit, in Frage zu stellen, dass zum Zeitpunkt dieser Bundespräsidentenwahl, also in knapp zehn Wochen, Gerhard Schröder noch Bundeskanzler ist. Was denkt denn Herr Köhler, wie schnell die Machtübernahme durch seine Partei vonstatten gehen wird?
Weil der Herr Direktor nach den Statuten dieser Demokratie noch nicht ganz richtig Bundespräsident ist, es fehlt halt bloß die Bundesversammlung, die das Rechnungsergebnis abnickt, allein darum konnte sich Edmund Stoiber noch erlauben, Horst Köhler scharf zurechtzuweisen. Für eine Personaldebatte um die Kanzlerkandidatur sei es zu früh. Der Bundespräsident in spe solle gefälligst die Goschen halten. Der genaue Wortlaut ist nicht überliefert.
Und wie reagierte darauf Angela Merkel? Selbst Wolfgang Schäuble muss klar geworden sein, dass sie ihn nie haben wollte. War es ihr peinlich? I wo! Frisch geheuchelt sieht sie „kein Problem darin, dass sich der künftige Bundespräsident“ für sie „als Kanzlerin ausgesprochen hat“. Er habe „durch seine Äußerung deutlich gemacht, dass er das Amt des Bundespräsidenten als überparteilich versteht“.
Dreist. Man hört die Stimme der Angela Merkel. Bei solchen Äußerungen ist es der kecke, harmlose Mädchenton, mit dem sie für sich selbst in die Bresche springt. Diese Frau mache keine Rechnung auf, deren Ergebnis sie nicht bereits kenne. So heißt es in der CDU/CSU über sie. Angela Merkel versteht es, von allem zu profitieren. Die CDU-Parteivorsitzende profitiert sogar vom westdeutschen Feminismus, den sie als ehemalige DDR-Frau wahrscheinlich verachtet.
Sie müsse sich fragen lassen, lässt sie sich seelenruhig von Journalisten fragen, wo „die menschliche Wärme der Angela Merkel“ sei. Der Stern-Mann, der am 9. März in der Berliner Humboldt-Universität Angela Merkel vor Publikum als „erfolgreich, aber kalt“ bezeichnete, bekam von ihr prompt zur Antwort, sie verspreche ihm, sich künftig an den „menschlich warmen Männern“ ein Beispiel zu nehmen. Das Publikum applaudierte ihr nahezu einhellig, Frauen wie Männer.
Es gebe Parteiaustritte von CDU-Frauen, wird ihr vorgehalten. Sie wisse von nichts, sagt sie. Denn sie weiß, die CDU/CSU-Frauen wollen sie als Kanzlerin, auch diejenigen, die Angela Merkel nicht mögen. Sie wollen sie, weil die SPD-Frauen dann platzen vor Neid. Ihr mag die mütterliche Wärme fehlen, die aber hat noch keiner Frau zur Macht verholfen. Auch Margaret Thatcher war keine Mutter. Mit der mag Merkel allerdings nicht verglichen werden. Wahrscheinlich wegen der Frisur.
Angela Merkel ist in der CDU/CSU die Klassenbeste, sie ist im Vor- und Rückwärtsrechnen mindestens so gut wie Stoiber, viel besser als Merz und korrekter als Koch. Ihr sehen sogar westdeutsche Feministinnen nach, was sie keinem Mann nachsehen: dass Angela Merkel eine Frau als Bundespräsidentin verhindert hat. Denn diesmal hätte es geklappt.
Die CDU-Frau Annette Schavan wäre mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit Bundespräsidentin geworden. Doch Angela Merkel will keine Frau, nicht noch eine Frau, sie will selbst etwas werden. Sie will Bundeskanzlerin werden. Sie will in zwei Jahren Gerhard Schröder ablösen. Sie will jetzt kein Misstrauensvotum, sie will keine vorzeitigen Wahlen, sie will die noch verbleibenden zwei Jahre nutzen, um Posten mit Männern zu besetzen, Männern, die in ihrer Rechnung aufgehen. Solche wie Horst Köhler.
Bundeskanzlerin und Bundespräsidentin, zwei Frauen auf einmal, das verträgt vielleicht eine dünne Mehrheit in Deutschland, aber die Partei von Angela Merkel verträgt das nicht. Das verträgt überhaupt keine Partei. Und die Lobbyisten vertragen das auch nicht. Ein Frauenpaar an der Spitze des Landes: Wie sieht das denn aus? Bislang hatten wir immer Männerpaare. Und das finden Männer auch gut so. Zuletzt Schröder mit Rau. Demnächst vielleicht Köhler mit Koch oder Stoiber mit Köhler oder Köhler mit Merz? Alle wollen dasselbe werden, Koch, Merz und Stoiber: CDU/CSU-Kanzlerkandidat. Keiner von ihnen will Angela Merkel.
Und so wäre es auch Gerhard Schröder am liebsten. Auch darum ist man in der CDU/CSU unentschlossen. Noch fehlt Angela Merkel die Mehrheit der Unions-Ministerpräsidenten. Wie sie Kohl auf offener Bühne damals gemeuchelt hat, weckt Kastrationsängste.
Wenn aber Gerhard Schröder und die SPD lieber Koch oder Stoiber als Herausforderer hätten, dann wäre Angela Merkel vielleicht die Richtige. Obendrein ist sie auch noch Ostdeutsche. Eine ostdeutsche Kanzlerkandidatin wäre völlig unberechenbar. Womöglich wird sie gewählt, weil die Leute im Westen mal was ganz anderes wollen und die im Osten endlich was Eigenes. Womöglich wird sie gewählt, weil sie eine Frau ist, noch aus der DDR. Womöglich wird sie gerade deshalb nicht gewählt.
Angela Merkel und Horst Köhler, zwei, die gut rechnen können, haben beide Wahlen bereits durchkalkuliert und unterm Strich das amtliche Endergebnis zusammengezählt: Sie wird in zwei Jahren Deutschlands erste Bundeskanzlerin sein, und er ist ab 23. Mai Deutschlands neuer Bundespräsident. Wozu noch Geld für die Wahlen ausgeben?
Fotohinweis: Viola Roggenkamp lebt als Publizistin in Hamburg