Wie gierig ich bin!

Wenn der Paketbote täglich klingelt und die eigene Wohnung zu einem Warenlager mutiert, liegt eine Diagnose nahe: Hier handelt es sich um einen Fall von fortgeschrittener eBay-Sucht. Eine Beichte

von CORNELIA KURTH

Meine monatliche Internetrechnung liegt jetzt bei 35 Euro, trotz Journalistenrabatt. Meine Kontoführungsgebühren betragen unglaubliche zwanzig Euro. Die Posttarife kenne ich besser als die Postangestellten, und in meinem Zimmer sieht es aus wie im Hinterraum eines Antiquariats: Bücher, Bücher stapeln sich, es werden täglich mehr, obwohl ich doch andererseits nicht schlecht damit beschäftigt bin, Bücher zu verpacken, um sie zu versenden … Kurz: Ich bin süchtig, eBay-süchtig.

Täglich, nein, nächtlich rufe ich die Seiten des Internetauktionshauses auf, bevorzugt die Kategorie Belletristik, und studiere die lange, lange Angebotsliste. Und wo immer mir ein Buchtitel positiv ins Auge fällt und der dahinterstehende Preis den einen Euro Startpreis nicht wesentlich überschritten hat, schlage ich mit einem Gebot zu.

In solchen Sitzungen erinnere ich mich an all die Bücher, die ich in meinem Leben schon besessen und wieder verloren habe. An solche, die ich schon immer hatte lesen wollen. Auch an Kinderbücher, die ich damals liebte und die vielleicht etwas für mein Kind wären oder für die Kinder meiner Geschwister und Freunde. Oder – die man weiterverkaufen könnte!

Wenn ich das entsprechende Stichwort in die eBay-Suchmaschine eingebe, werde ich fast immer fündig. Und wenn ich auf einen Verkäufer stoße, dessen Versandkostenpauschale in Ordnung ist, gucke ich mir an, was er sonst noch so zu bieten hat: „zwei Bilderrahmen, alt!“; „ein Paar Mittelalterschuhe (passen auch gut zu normaler Kleidung)“; „ein Biedermeierglas mit Abriss“ – warum nicht?

Weit über zweihundert „positive Bewertungen“ habe ich schon eingeheimst, die Zahl steht hinter meinem eBay-Nickname, der überall dort erscheint, wo ich als Mitbieter auftrete. Sie bedeutet, dass ich bisher mit mehr als zweihundert verschiedenen Menschen Geschäfte gemacht habe. Da nicht jeder nach abgeschlossener Transaktion eine Bewertung abgibt und da Bewertungen von Leuten, mit denen man schon einmal gehandelt hat, nicht mitgezählt werden, liegt die Anzahl meiner tatsächlichen Handelsaktionen noch viel höher.

Und dabei begann doch alles erst vor wenigen Monaten, genauer gesagt: kurz vor Weihnachten, als ich nach einem lustigen Geschenk für meinen Vater suchte und mich dabei erstmals auf die eBay-Internetseite begab, um bei den „Antiquitäten“ allerlei Krimskrams zu ersteigern, der bis auf eine – wie sich herausstellte: verrostete – Kornsichel sämtlich erst nach dem Fest bei mir eintrudelte. Es waren ohne Ausnahme vollkommen unsinnige Dinge, die nun mir gehörten (ich nenne nur einen klapprigen, per Hand verstellbaren Datumsanzeiger), kein Wunder: Ich hatte nur auf verführerische Ein-Euro-Artikel geboten, die aus gutem Grund außer mir niemand unter all den Millionen anderen eBayern hatte haben wollen.

Nach dieser Erfahrung hätte ich es eigentlich lassen können. Aber ich ließ es so wenig, wie man manchmal auch in Sachen verquerer Verliebtheit nicht einsehen will, was Unsinn ist. Ich wollte Schnäppchen machen. Ich fand es reizvoll, fast immer eine E-Mail zu finden, wenn ich den PC anschaltete: „Bestätigung des Angebotes“ oder „Sie wurden überboten“ oder „Auktion beendet“ oder „Liebe Cornelia, herzlichen Glückwunsch zur gewonnenen Auktion! Bitte überweise 5,60 Euro auf mein Konto.“

Auch die positiven Bewertungen für meine schnellen Überweisungen: „Super-eBayer! Gerne wieder!“ gefielen mir, ebenso wie die Macht, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, wie zum Beispiel gegenüber der Verkäuferin zweier Parfümflakons, deren einer nicht funktionierte, sodass ich ihr eine „neutrale“ Bewertung gegeben hätte, wäre ich nicht per E-Mail sozusagen auf Knien angefleht worden, doch bitte, bitte nicht ihr makelloses Bewertungsprofil zu zerstören.

Täglich begrüßte ich unseren Postboten persönlich an der Tür – ein Profi, der keine Miene verzog über die Lawine von Päckchen bei einer Kundin, die sonst nur zweimal im Jahr eines bekam. Einmal schenkte ich ihm eine Bonbondose in Form eines Briefkastens.

Aber nachdem ich, recht günstig, zwei Levisjeans ersteigert hatte, fiel mir nichts mehr ein, was ich brauchen könnte. Ratlos verbrachte ich Stunden damit, die Suchmachine mit Stichwörtern wie „und“, „mit“, oder „super“ zu füttern, um durch die herausgefilterten Artikel auf neue Ideen zu kommen, wobei es sich immer um in Kürze ablaufende Offerten handeln sollte: Ich wollte den Kick des Zuschlags hier und jetzt.

Ich kaufte PC-Spiele, von denen ich schon vorher wusste, dass ich sie tief in der Schublade vor mir selbst verstecken würde, ich erstand ein Set Rotringstifte, die ich früher liebte, aber die ich nicht mehr benutze, seit ich Briefe nur noch mit dem PC schreibe, und ich bin auch Besitzerin einer blau karierten „Sesselhusse“ – von Bassetti zwar, aber trotzdem schaurig.

Bücher kamen für mich in der eBay-Anfangsphase gar nicht in Frage, hatte ich doch anlässlich meines Umzugs gerade kräftig ausgemistet und die entsprechenden Borde entsorgt. Sollte ich etwa Borde ersteigern? Da entdeckte ich in der Abstellkammer eine Kiste mit fünfzehn dänischen Porzellantellern aus den Siebzigerjahren, von meiner Tante geerbt, so genannte „Weihnachtsteller“, für die ich weiß Gott keine Verwendung hatte. Jetzt aber durchfuhr mich eine Erleuchtung: Bei eBay verkaufen!

Ich glaube, dieser Schritt auf die Verkäuferseite war es, der mich endgültig zur Drogenabhängigen machte. Die Droge heißt: eBay.

Nur so zum Spaß stellte ich einen der Teller ein, dachte, so fünf Euro könnte er ja bringen, und bekam einen echten Schock, als der Startpreis von einem Euro sich schon am nächsten Tag auf dreißig, dann sechzig Euro hochgeschraubt hatte. „Um Himmels willen“, durchfuhr es mich, „das muss ein Irrtum sein! Sicher habe ich was Falsches eingegeben, wodurch die Leute denken, dass dieser Teller wertvoll sei.“ Aber alles hatte seine Richtigkeit: Bei eBay erwischt man eben auch die leidenschaftlichen Sammler, auf die Flohmarkthändler meist vergeblich harren.

Ich verkaufte den ersten Teller für neunzig Euro, den zweiten für über hundert Euro nach Italien – wie wunderbar, diese ausgleichende Gerechtigkeit! Alle meine eBay-Ausgaben waren innerhalb kürzester Zeit wieder eingespielt. „Wann, wenn nicht jetzt: Mach Schluss!“, rief meine innere Stimme. „Quatsch!“, sagte ich. „Jetzt fängt’s überhaupt erst an!“

Nie hätte ich gedacht, dass zu den Seelen in meiner Brust auch eine Krämerseele gehört. Sie flüsterte mir ein, in Ermangelung weiterer verkäuflicher Dinge aus eigenem Bestand Bücher bei eBay zu ersteigern, um sie dann zu einem höheren Preis im Internetbuchhandel Amazon wieder anzubieten. Schlaue Idee! Gleich zu Beginn kaufte ich ein nagelneues Buch bei eBay für einen Euro (plus 2,50 Euro Versandkosten), das ich schon zwei Tage später bei Amazon für neun Euro verkaufen konnte. Wenig später gelang mir wieder so ein Geschäft, und von da an verbrachte ich viele Nachtstunden vor den eBay-Bücherlisten und ersteigerte mir unter den Last-Minute-Angeboten ein nettes Bücherarsenal zusammen, nicht ohne dabei am ermunternden Weinchen zu nippen. Freunden gegenüber entwarf ich Visionen von einem blühenden Internetbuchhandel, ja, den Grundlagen für zukünftigen Wohlstand.

Die Sache machte mir wirklich Spaß: eBay-Artikel anklicken, zu Amazon wechseln, um die möglichen Preise zu studieren, zurück zu eBay und Entscheidungen treffen. Wobei ich, um meine Moral nicht ganz zu untergraben, nur solche Bücher erstand, die ich theoretisch ins eigene Bord eingliedern könnte – schon, um nicht schamrot zu werden bei anzüglichen Verkäufer-E-Mails wie: „Hoffe, du hast viel Freude mit diesem Buch!“

Sicher: Am nächsten Morgen war ich froh über jede andere Nachteule, die mich doch noch überboten hatte. Während nämlich die Bücherstapel rund um meinen Schreibtisch wuchsen, zeigte sich allmählich, dass der Postbote leider wesentlich mehr Büchersendungen zu mir karrte, als ich meinerseits Anlass hatte, zur Post zu bringen.

Im Gegensatz zu eBay, wo sich Sieg oder Niederlage innerhalb von sieben Tagen entscheiden, kann es Wochen und Monate dauern, bis ein Buch über Amazon losgeschlagen ist. Wenn es überhaupt einer haben will. An wirklich begehrte Bücher kommt man ja auch bei eBay nur sehr selten zum Schnäppchenpreis (man probiere es nur mit dem neuen Buch „Rumo“ vom Walter Moers) – um sie streiten sich so viele Bieter, dass der Endpreis manchmal sogar höher liegt als der Neupreis im Buchladen um die Ecke. Klar: Wer sieben Tage lang ein Angebot verfolgt hat, immer wieder höher bot und – womöglich von ein und demselben Mitbieter – immer wieder überboten wurde, der denkt leicht: „Mit mir nicht!“ und wird trotzig auch dann noch eins draufschlagen, wenn es die Sache nicht mehr wert ist.

In den letzten Minuten vor Ablauf eines Angebots spielen sich regelmäßig virtuelle Prügeleien um den begehrten Artikel ab, der Preis jagt noch einmal fiebrig in die Höhe, überall in ganz Deutschland hauen sie in die Tasten, um die drei Bietschritte rechtzeitig ausführen zu können, und am Ende gewinnt derjenige, der am coolsten genau die richtige Sekundenzahl vor Schluss sein Gebot loswird. Bei diesem Endspurt kann einem das Herz schon schwer klopfen, und es ist gut, dass man nicht von Angesicht zu Angesicht dem Höchstbieter gegenübersteht, diesem Miesling.

Einmal übrigens – bei einem Buch, das ich für private Zwecke unbedingt haben wollte – war der Höchstbietende tatsächlich ein Miesling. Bis zur Begegnung mit „bürste3“ hatte ich nichts mit Betrügereien bei eBay zu tun gehabt, ja, der Internetauktionator schien mir das Ideal einer freien, aber fairen Marktwirtschaft zu sein, in der sich Angebot und Nachfrage auf natürlichem Wege regulieren und die Mitglieder sich erstaunlich bewusst darüber sind, dass die ganze Sache nur auf der Basis von Vertrauen und Offenlegung aller Verkaufsbedingungen läuft.

Selbst die Versandkostenschinder können sich wenigstens damit herausreden, dass es ja nicht ihre Schuld sei, wenn man, was vielen eBay-Anfängern passiert, das Kleingedruckte nicht liest. „bürste3“ aber hatte unter einem zweiten Namen auf sein eigenes Buchangebot mitgesteigert und so den Preis künstlich in die Höhe getrieben, eine der wirklich bösen Taten bei eBay. Es kam heraus, als ich in der Gebotsübersicht sah, dass außer mir nur zwei andere Leute mitgeboten hatten: Der eine von beiden hieß „bürste4“!

Er hatte erst den anderen, der dann aufgab, und schließlich mich immer dadurch eingeholt, dass er so lange bot, bis unsere Höchstpreise erreicht waren, um dann unter fadenscheinigen Ausreden wieder einen Schritt zurückzugehen.

Trotz erdrückender Beweislage, dass er auch in anderen Fällen so auf seine eigenen Artikel gesteigert hatte, leugnete er dreist und wurde sehr wütend, als ich mich weigerte, das überteuerte Buch zu kaufen, und so beschloss ich, mich bei der eBay-Administration förmlich zu beschweren.

„bürste“ bekam eine Verwarnung und von mir außerdem meine erste und einzige „negative Bewertung“, die ich jemals vergeben habe. Ich heimste dafür selbst eine von „bürste“ ein: „So eine Hasenkuh, ersteigerten Artikel nicht gekauft. Finger davon lassen!“

Ja, auch durch solche Dinge steigen die Internetkosten! Ich las mich online durch allerlei Richtlinien und erfuhr, dass man mit einer eidesstattlichen Erklärung die Rücknahme einer ungerechten negativen Bewertung erreichen kann. „Du musst das tun!“, meinte eine ältere eBayerin, mit der ich mich über diesen Fall austauschte. „Oder willst du öffentlich und weltweit als Betrügerin dastehen?“ Es ist eine ernste Sache mit den negativen Bewertungen (deshalb haben die meisten auch kaum welche).

Ich folgte dem klugen Rat, und eines Tages – es war ein Triumph, ich gebe es zu – verschwand die Beschwerde aus meinem „Bewertungsprofil“, während „bürste“ für immer aus der eBay-Gemeinschaft ausgeschlossen wurde (falls er sich nicht unter dem Namen „besen“ wieder eingeschlichen hat …).

Damals wusste ich noch nicht, dass mich der eBay-Virus rettungslos erwischt hatte. Dass mir jede Ausrede recht sein würde, um weiter mitzuspielen. Wie gierig ich bin! Immerhin besitze ich jetzt erstmals in meinem Leben jede Menge ungelesener Bücher (nur immer noch keine neuen Borde). Von Peter Bamm zum Beispiel, einem dieser vergessenen Schriftsteller, die man ziemlich unverkäuflich in jedem Antiquariat rumstehen sieht. Er ist übrigens gar nicht schlecht. Auch die Romane von Max Brod sind es nicht. (Ich suche übrigens dringend „Arnold Beer“!) Und eine echte Entdeckung für mich war der Bestsellerautor Ken Follett, den ich bisher immer arrogant verschmäht hatte. Sein Roman „Die Nadel“ (so wenig neu, dass man ihn für einen Euro ersteigern kann) ist mindestens so gut wie die Krimis von Simenon.

Grade klingelte der Postbote Sturm, überreichte mir drei Büchersendungen und sagte, er werde am Ende seiner Tour noch mal vorbeikommen müssen, die anderen zehn Sendungen hätten nicht mehr in seine Fahrradtasche gepasst. Ich muss damit aufhören! Bald!

Nur nicht gleich heute, denn ab Mitternacht kann ich kostenlos surfen, den ganzen Sonntag lang. Aber dann „will ich es nun ganz gewiss nie wieder tun“!

CORNELIA KURTH, freie Autorin, geboren 1960, holt sich per Mausklick die ganze Bücherwelt nach Rinteln