Eine Dokumentation, die sich in der Widerlegung antisemitischer Stereotypisierungen verfängt: „Die Soldaten mit dem halben Stern“ im Abaton : Geschichte wird gemacht
Der Film Die Soldaten mit dem halben Stern beginnt mit einem Geständnis. ,,Ich wollte so sein wie die anderen“, sagt der alte Mann in die Kamera, ,,aber meine Mutter sagte, das geht nicht, wir sind anders.“
In Heike Mundzecks Dokumentarfilm beginnt das Anderssein durch eine Zuweisung, vollstreckt durch die Nürnberger Rassengesetze von 1935. Dort wurde der nationalsozialistischen Rassenideologie entsprechend festgelegt, dass als Jude zu gelten habe, wer „jüdischer Abstammung“ sei. Mit einem Schlag wurden Menschen mit einer Gruppenmitgliedschaft belegt, von der sie teilweise gar nichts wussten, weil die Familie säkularisiert oder zum Christentum konvertiert war, weil ein Familienmitglied verstorben war und seine jüdische Glaubenszugehörigkeit bislang nicht erwähnt wurde.
Für die interviewten Männer, die in ihrer Kindheit und Jugend von dieser Zuschreibung betroffen waren, war sie ein Schlag ins Gesicht: ,,Das war eine furchtbare Geschichte, dass ich plötzlich als Jude bezeichnet wurde“, heißt es beispielsweise. Oder auch: ,,Ich wusste nicht, dass ich ein Mischling war, denn ich kam aus einer absolut deutschen Familie.“ Heike Mundzeck sieht in diesen Äußerungen einen Anlass aufzuzeigen, welchen ,,Patriotismus und Integrationswillen“ jüdische Deutsche seit Nationsgründung vorweisen konnten, die sich scharenweise freiwillig zu Kriegseinsätzen meldeten. Auch während des Zweiten Weltkriegs kämpften Männer, die jüdische Familienmitglieder hatten und somit ,Halbjuden‘ oder ,Vierteljuden‘ waren, Seite an Seite mit deutschen Frontkämpfern. Ihre Lebensgeschichten, die ,,verpackt, verdrängt, vergessen wurden“, wie die kommentierende Off-Stimme den Zuschauenden mitteilt, stehen im Mittelpunkt der Dokumentation.
Die Geschichte dieser Männer ist vertrackt. Indem sie von der nationalsozialistischen Rassenideologie zu Juden gemacht wurden, mussten sie sich zeitlebens mit den einhergehenden Stereotypisierungen auseinander setzen; sie mussten zeigen – mindestens um antisemitischen Abwertungen zu entkommen, wenn sie nicht dem Tod von der Schippe springen oder jüdische Angehörige vor Deportation und Vernichtung retten wollten –, dass sie nicht feige, schwach, verschlagen waren, sondern mutig, stark und heldenhaft.
Nichtsdestotrotz ist jeder Dokumentarfilm auch eine Konstruktion von Wahrheit und Realität, und genau hier durchbricht der Film den Circulus vitiosus des stereotypisierenden nationalsozialistischen Rassenwahns und seiner Widerlegung nicht. So wird beispielsweise die nationalsozialistische Rassenideologie, die in vielen Sätzen als Anhaltspunkt der eigenen Auseinandersetzung mitschwingt, nicht als zeitgeschichtliches Phänomen beleuchtet, sondern in einem Nebensatz auf ,,den Hundeliebhaber Hitler“ zurückgeführt.
Die lange Geschichte antisemitischer und rassistischer Vorurteile, die sich in zahlreichen Pogromen ebenso äußerte wie in der unbarmherzigen Kolonialgeschichte, wird hier kurzerhand auf einen einzigen Urheber zurechtgestutzt. Dabei wäre weit mehr über die Herkunft dieser Zuschreibungen – und ihren Fortbestand – zu sagen, als der Film andeutet. Schlechtestes Beispiel ist hier die dahingestreute Vermutung, Hitler sei selbst von der Vorstellung geplagt gewesen, einen jüdischen Großvater gehabt zu haben. Eliminatorischer Antisemitismus als Reflex gegen die eigene Herkunft? Ein solch verquaster Psychologismus verkennt nicht nur das Ausmaß der Vernichtung, sondern verschweigt auch die Mittäterschaft großer Teile der deutschen Bevölkerung und auch der Wehrmacht.
Die Frage, welches Ausmaß an Grauen und Vernichtung die interviewten Männer während ihres Wehrdienstes gesehen und erlebt haben, ist noch nicht einmal Nebenschauplatz des Films. Die Wehrmacht, in der sie dienten, wird so unangemessener Weise zur Rehabilitationseinrichtung gegen antisemitische Vorurteile. Doro Wiese
Sonntag, 11 Uhr, Abaton; es werden auch Schulvorstellungen angeboten