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Archiv-Artikel

Dreiländereck mit Schieflage

„Die Köpfe bleiben hier, die Hände arbeiten in Polen“, sagen deutsche Unternehmer in der Euroregion Neiße rund um Zittau. Schon vor der EU-Osterweiterung und erst recht danach will vor allem der Mittelstand von den offenen Grenzen profitieren

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

„Die EU-Osterweiterung bringt der Region die Chance, wieder das integre Herz Europas zu werden!“ Es ist Sache von Wirtschaftsministern wie dem sächsischen Martin Gillo, für den rechten Glauben bei Unternehmerschaft und Kommunalpolitikern zu sorgen. Heinz Eggert, ehemaliger Landrat im Zittauer Dreiländereck und ehemaliger Innenminister in Sachsen, pflichtet bei: „Nur dreiseitig hat die Region eine Chance.“

Aus dem Dreieck Zittau/Hrádek/Bogatynia wird dann euphemistisch gleich eine europäische Modellregion. Nüchterne Gespräche mit Unternehmern zeigen aber, dass die Chance nicht in der Konvergenz der drei Wirtschaften besteht, sondern aus deutscher Sicht in der Ausnutzung des auch nach 2004 absehbar fortbestehenden Gefälles.

Warum geht ein Heidelberger Fabrikant von kabelverarbeitenden Maschinen wie Wolfgang Hanke nach Zittau? „Ohne Förderung wären wir nicht hier“, gesteht er unumwunden. Aber das sei nicht der Hauptgrund. Die Kabelproduktion ist schon ganz weit nach Osten in die Ukraine abgewandert. Zittau erscheint so wie ein Brückenkopf. Im 600 Kilometer entfernten slowakischen Košice werden für geringsten Lohn einfache Zerspanungsarbeiten erledigt. Die Komplettierung der Maschinen erfolgt bei der Hanke Crimp-Technik in Zittau. Eine komplette Ansiedlung in Osteuropa kann sich Hanke nicht vorstellen. Der fehlenden Fachkräfte wegen, aber auch, weil der 67-Jährige seinen Lebensabend im deutschen Kulturkreis verbringen möchte.

„Die Köpfe bleiben hier, die Hände arbeiten in Polen.“ Solche Sprüche fallen, wenn sich Unternehmer beim Kamingespräch mit Journalisten richtig in Stimmung bringen.

Der Modellbahnhersteller Tillig ist vor allem wegen seiner Produktionsverlagerung nach Tschechien konkurrenzfähig. Und die Reste des einstigen DDR-Handtuchkombinats Frottana beschäftigen ebenfalls 60 Näherinnen jenseits der Grenze.

„30 Prozent der Unternehmen haben Kontakte in die Nachbarländer“, bestätigt der Oberlausitzer Regionalmanager Holm Große. Die Vergabe von Lohnarbeiten lohnt sich, auch wenn der Durchschnittsverdienst in Nordböhmen offiziell schon bei 70 Prozent der sehr schlecht zahlenden Lausitz liegen soll. Laut Jiri Zdrazil, Geschäftsführer des Gurt- und Bänderherstellers Elas im tschechischen Hrádek, kostet eine Arbeitskraft jedoch nur etwa 30 Euro am Tag.

Das Bild von Kopf und Händen stimmt insofern nur teilweise, als deutsche Unternehmer auch auf das ähnlich preiswerte „Riesenpotenzial“ an ingenieurtechnischem Fachwissen in den Nachbarländern spekulieren. Die Universität Liberec beispielsweise liegt nur 30 Kilometer von Zittau entfernt. Aus diesen Expertenkreisen könnte auch das einzig nennenswerte Einwanderungspotenzial an Arbeitskräften nach dem Beitritt zur EU kommen. In der Regel gelten tschechische oder polnische Arbeitskräfte als schlechter qualifiziert. Hinzu kommen Bodenständigkeit und Immobilität. Gründe übrigens, die auch Hrádeks stellvertretende Bürgermeisterin Hedvika Zimmermanova einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit nach 2004 erwarten lassen. Denn einen Rationalisierungsschub wird der EU-Beitritt bei den Nachbarn mit Sicherheit auslösen, auch wenn er nicht so stark ausfallen dürfte wie in der DDR nach der Währungsunion. Das Münchner ifo-Institut für Wirtschaftsforschung schätzte denn auch in einer Studie über die zu erwartenden Beitrittsfolgen das Migrationspotenzial in der Grenzregion auf nicht mehr als 4 Prozent.

Einigermaßen gelassen sehen bei den Nachbarn nur Firmen dem Beitritt entgegen, die wie Elas schon 100-prozentige Töchter von Deutschen oder Ausländern sind. Der Anpassungsdruck wird auf ihrer Seite erheblich größer sein als auf der sächsischen oder brandenburgischen. Ein möglicher Grund, warum das Projekt eines dreiseitigen Gewerbegebiets-Verbundes so schleppend vorankommt. „Den Nutzen haben vor allem Mittelständler, die deutsche Gesetze schätzen und das Ausland scheuen“, erklärt Zittaus Wirtschaftsförderungsbeauftragter Holger Knüpfer ganz offen.

Vor allem die durch Landwirtschaft und den Riesentagebau Turów monostrukturierte polnische Seite legt trotz verbaler Bekenntnisse keinen besonderen Eifer an den Tag. Nicht einmal einer verlängerten Bundesstraße 178 als Verbindung zwischen der A 4 und dem tschechischen Liberec hat sie zugestimmt, obschon die Deutschen für den kurzen polnischen Abschnitt alle Kosten übernehmen würden.