: In den rauchenden Ruinen von Kosovo
Die Kleinstadt Lipljan war bis vor kurzem ein Modell des Zusammenlebens zwischen Serben und Albanern. Jetzt hat auch hier ethnische Gewalt die Harmonie zerstört. Polizei und UNO greifen nicht ein. Lediglich die KFOR fährt Panzer auf – zu spät
AUS LIPLJAN UND KOSOVO POLJE ERICH RATHFELDER
Rauch liegt in der Luft, es riecht nach verbrannten Balken. Die Fensterhöhlen sind geschwärzt, in den Ruinen sind noch ein paar Utensilien verstreut: der verbrannte Ofen, der halbverkohlte Schrank, die Kinderschuhe am Eingang. Ihre Besitzer sind weg. Die serbischen Familien im nördlichen Stadtteil von Lipljan sind ein paar Hundert Meter weiter geflüchtet – dorthin, wo noch andere serbische Häuser und eine Kirche stehen und wo finnische KFOR-Soldaten ihre Panzer platziert haben.
Die Gemeinde Lipljan hat 70.000 Einwohner, davon bis vor kurzem 14.000 Serben – ungewöhnlich im Kosovo. Während des Krieges 1999 und der Vertreibung vieler Albaner durch die serbischen Sicherheitskräfte schützten die serbischen Bewohner die albanischen Häuser. Als die Albaner nach dem Einmarsch der Nato im Juni 1999 zurückkamen, gab es deswegen auch keine Racheakte. Lipljan galt sogar als Vorzeigestadt der internationalen Gemeinschaft. Der internationale Polizeichef Siegbert Hänsel erklärte noch am Dienstagnachmittag, in Lipljan habe sich das Leben normalisiert, die Polizei sei gemischt, die Kriminalitätsrate gesunken. Doch dann kam der Dienstagabend. Und die Explosion der Gewalt auch hier.
Es ist schwer, die Ereignisse zu rekonstruieren, denn jeder kennt nur einen Ausschnitt, selbst die Polizei hat die Übersicht verloren. Denn abends, wenn die Schießereien beginnen, zieht sich die Polizei zurück. So sagt es ein Beamter unter der Hand. Offiziell dürfen sie mit Journalisten nicht reden. Auch die KFOR-Soldaten waren die letzten Nächte nicht zu sehen, erst jetzt haben sie Position bezogen und versuchen, Albaner und Serben in diesem Stadtteil zu trennen. Für viele Familien kommt diese Hilfe zu spät.
Über 60 Häuser seien schon verbrannt, berichten Serben. Nach eigenem Augenschein sind es viel weniger. Dennoch: viele Menschen haben ihr Zuhause verloren. Und die Zurückgebliebenen sind ratlos.
Bahli besitzt einen Laden an der Ecke, wo die Häuser verbrannt sind. Albaner und Serben waren bis vor drei Tagen noch zusammen, sagt er. „Sie kauften bei mir ein, alles normal, das ist jetzt nicht gut.“ Wer in der Nacht schießt, will er nicht sagen, auch nicht, wer die Häuser angezündet hat. Aus Angst ist er mit den Kindern zu den Brüdern in einen anderen Stadtteil gezogen.
„Kriminelle und Jugendliche“, sagt ein Polizist, seien an der Gewalt schuld. Aber beide Seiten seien organisiert und gut bewaffnet. Die Bewaffnung ist ungleich. „Zwei, drei Handgranaten“ hätten die Albaner, lacht ein Tankwart, „nicht mehr.“ Die Serben hätten hingegen Scharfschützen, die auf zwei Kilometer Entfernung Menschen treffen könnten. Tatsächlich wurden in Lipljan drei Albaner getötet und um die 30 verletzt, von serbischen Opfern ist bisher nichts bekannt.
Nun steht eine Mauer des Schweigens. Viele Albaner sind freundlich, wollen aber die Wahrheit über die Aktionen ihrer Seite nicht verraten. Einer von ihnen, Hazni Gajtani, schiebt allerdings nicht nur den Serben die Schuld in die Schuhe. Nach der Blockade der in der Nähe befindlichen Hauptstraße Priština-Skopje durch Serben am Dienstag, nach dem Tod der drei albanischen Kinder in Mitrovica und den Toten und Verletzten dort seien eben auch hier viele Leute erbost gewesen.
Keiner weiß, was jetzt zu tun ist. Auch die Polizei ist ratlos. Die KFOR ist an der Hauptstraße mit Panzern angerückt, martialisch stehen sie dort, mit Nato-Stacheldraht umgeben, und hindern Albaner aus Priština, zu den serbischen Blockierern vorzudringen.
In der 20 Kilometer entfernten Stadt Kosovo Polje rauchen noch die 20 serbischen Häuser, die hier in der Nacht zum Freitag angezündet wurden. In einem Wohnkomplex harren 150 Serben aus, Kinder sind darunter, schwangere Frauen. Petar hat wenig geschlafen letzte Nacht, als albanische Brandstifter durch die Stadt zogen. Die lokale albanische Polizei habe nichts unternommen. Wasser und Strom sind abgedreht, die afrikanischen UN-Polizisten aus Afrika packten ihre Sachen und verschwanden, als es brenzlig wurde. Jetzt steht zwar wieder lokale Polizei vor dem Haus, doch kein Panzer lässt sich sehen. Die Menschen warten auf die Evakuierung. „Das, was du hier siehst“, sagt Petar zum Abschied, „ist ethnische Säuberung.“