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Archiv-Artikel

Phänotyp der Mittelprächtigen

betr.: „Probleme machen immer die anderen“ (Ja, es gibt Arme in Deutschland. Aber das ist doch kein Grund, sich aufzuregen. Man sieht sie ja nie), taz vom 15. 5. 03

Ich kenne die FreundInnen von Ulrike Herrmann auch, nicht persönlich ihre, aber den gleichen Schlag, soziologisch: Phänotyp der Mitteprächtigen. Früher linksrevolutionärer, als ich je war, schelten sie nun die Prolls, weil sie so blöd sind und auch so aussehen. Sie denken, sie sehen besser aus, weil sie Marke tragen und ihren Prosecco aus den Schalen trinken. Ihren Brecht genießen sie auf der Bühne und summen mit: Die im Dunkeln sieht man nicht.

Ansonsten erregen sie sich gegen die Gewerkschaften, weil sie doch mit den Reichen reicher werden wollen. In den USA siegten die Rechten, weil sie gekonnt die Limousinen-Linken angriffen, deren Liberalität immer an der Steuererhöhung zerbrach. Anarchisch wiesen sie die bürokratischen Staatsanforderungen zurück und wollten eher persönlich gut zu den Armen sein, die Guten. Zu ihren Schwarzputzfrauen sind sie freundlich. Sie weisen den Opferdiskurs zurück und schwafeln von Eigenverantwortung, nachdem ihnen die Sorglosfonds Sicherheiten gewähren, die den Sozialkassen fehlen. Am Erbrecht finden sie alles in Ordnung, das hat doch dem Bobo- (Boheme-Bourgoisie-)Leben die richtige Würze gegeben. Die, die sie dabei unterhalten haben, sind halt Lebenskünstler, manche Tüchtige machen doch auch Karriere. Nur nicht im Alter arm werden, aber da haben sie ja mit den richtigen Alten vorgesorgt. Diese modernen Argschwätzer bevölkern als Experten die Talkshows und die Parteien. Sie machen die Welt immer hässlicher und das müssen wir ihnen heimzahlen. […]

HALINA BENKKOWSKI, Berlin