: Idealbild eines Wasserfalls
Jakob Philipp Hackert war der Damien Hirst des 18. Jahrhunderts. Kunden warteten bis zu sieben Jahre auf seine Bilder. Die Hamburger Kunsthalle zeigt Werke des vergessenen Landschaftsmalers
VON MARKUS WECKESSER
Detailgenaue Wiedergabe war Jakob Philipp Hackerts Markenzeichen und seine Masche. Um den großen Wasserfall von Tivoli so real wie möglich abzubilden, kam der Maler im Sommer 1769 zwei Monate jeden Nachmittag an dieselbe Stelle. Penibel studierte er vor Ort den Lichteinfall und die herabstürzenden Wassermassen. Alles sollte genau so abgebildet sein wie vorgefunden. Lediglich ein paar Staffagefiguren und rahmende Bäume fügte Hackert der Stimmung wegen frei hinzu.
Für seine Präzision liebten ihn seine Kunden, zu deren Kreis vor allem Reisende der Grand Tour zählten, die Andenken für ihr Heim wünschten. Bukolische Landschaften, bevölkert von schönen Bäuerinnen, rastenden und musizierenden Hirten, weidenden Schafen, Ziegen und Prachtrindern, die zweifelsohne jede Rasseschau gewinnen würden. Es waren Erinnerungsbilder für die Auftraggeber und Gegen- und Sehnsuchtsbilder für jene, die daheim geblieben sind.
Zu Lebzeiten galt der in Italien lebende Maler als Star, der wie kein anderer seine idyllischen Landschaften professionell zu vermarkten verstand. Da Kunden bis zu sieben Jahre auf ein Werk warten mussten und sich nicht jeder ein Original leisten konnte, ließ Hackert von einem Helferstab preisgünstige Stiche seiner Bilder anfertigen. Zudem brachte der fleißige Selfmademan Preislisten in Umlauf und setzte geschickt auf Empfehlungen aus dem Adel und Klerus.
Und doch geriet der Maler schon kurz nach seinem Tod in Vergessenheit. Hackerts neoklassizistischer Stil wirkte antiquiert, er selbst galt als Inbegriff des feudalen Hofkünstlers. Schon Goethe wetterte 1773: „Sie wollen euch glauben machen, die schönen Künste seien entstanden aus dem Hang, den wir haben sollen, die Dinge rings um uns zu verschönern. Das ist nicht wahr!“ Nur knapp ein Jahrzehnt später besinnt sich der Dichter aber eines anderen, er wird Hackerts Zeichenschüler und erster Biograf.
Die Gründe für Goethes Wandel ähneln jenen, welche das erneute Interesse an Jakob Philipp Hackert eingeleitet haben. Dessen Bewunderung liegt nicht etwa in Genialität begründet, sondern im malerischen Handwerk, der klaren, strengen Komposition und großen Naturtreue. Eine zuvor in den Häusern der Klassik Stiftung Weimar gezeigte Retrospektive ist derzeit in der Hamburger Kunsthalle zu sehen. Die monografische Schau vereint erstmals nahezu sämtliche Hauptwerke und zugleich Arbeiten aus allen Werkphasen. Darunter auch eines von zwölf großformatigen Gemälden, das die Zerstörung der türkischen Flotte in der Schlacht von Tschesme zeigt. Weniger den Bildern selbst als vielmehr dem damit verbundenen Ereignis verdankt Hackert seine damalige Berühmtheit: Die Auftraggeberin, die russische Zarin Katharina II., ließ im Hafen von Livorno eine Fregatte sprengen, allein damit der Maler das Schauspiel annähernd naturgetreu wiedergeben konnte.
Jakob Philipp Hackert wurde 1737 in Prenzlau in eine Künstlerfamilie geboren und ging bei einem Onkel als Tapetenmaler in die Lehre. Nach Besuch der Berliner Akademie lebte er zwei Jahre in Paris, bevor es ihn nach Rom zog. Dort ließ er sich, immer wieder unterbrochen von Exkursionen in den Norden und den Süden des Landes, nieder. Während ihm Stadtansichten von Ferne eher unbelebt geraten, überzeugt die Detailfülle bei Häusern, die im Vorder- und Mittelgrund des Bildes platziert sind. Von beinahe fotografischer Detailtreue sind die floralen Motive. Sein Anspruch lautete: „Ich verlange, dass ein jeder Botanicus den Baum erkenne.“ Zuweilen ergänzte er reale Landschaften um Antikenreferenzen. In seinen Bildern bevorzugte er eine scheinbar friedliche Welt, so klar und aufgeräumt wie die Ideallandschaften seines Vorbilds Claude Lorrain.
König Ferdinand IV. holte Hackert 1786 als Hofmaler nach Neapel. Hier schuf er Ausstattungen für Schlösser und Landsitze, dokumentierte die Trachten der Bevölkerung und fertigte Ansichten von Neapel und sämtlicher Seehäfen. Indes berücksichtigte er weder die miserablen Zustände der Hafenstädte noch das wirtschaftliche Elend von deren Bewohnern. Ebendas sollten die Betrachter der repräsentativen Gemälde ja auch gar nicht sehen. Hackert floh 1799 vor der französischen Revolutionsarmee auf ein Landgut bei Florenz. Die Herrschaft des Ancien Régime war zwar beendet, dennoch konnte der Maler an seine Erfolge anknüpfen. Acht Jahre später starb er an einem Schlaganfall.
Als feine Tapetenmalerei schalt die Nachwelt sein Werk. Im Nebeneinander der Künste und Stile aber scheint die Zeit für eine Wiederentdeckung gekommen zu sein. Denn „wer wird nicht gestehen“, wie bereits Hackerts Zeitgenosse Johann Georg Sulzer erkannte, „daß die Kunst alle reizenden Scenen der sichtbaren Natur uns in wolgerathenen Nachahmungen vorzulegen, eine Kunst von schäzbarem Werth sey?“
Bis 15. Februar 2009, Hamburger Kunsthalle, Katalog 35 €