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Archiv-Artikel

„Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!“

Herne im Ruhrpott nimmt sich die Idee der Integration zu Herzen. In einer öffentlichen Feststunde begrüßt die Stadt die neuen Deutschen in ihrer Mitte

VON MIA RABEN

Karim Ouchani, 20, sitzt auf einem schweren hölzernen Lehnstuhl, fünf Meter über seinem Kopf zwei Kristallleuchter, und passt auf. Vielmehr hört er, sehr sacht ein Kaugummi kauend, aufmerksam zu. Seine breiten Schultern hat er leicht nach oben gezogen, er wirkt angespannt, zugleich aber will er locker bleiben. Schwierig das, in einer für ihn ungewohnten Nadelstreifenhose und in auf Hochglanz polierten Lederschuhen. Der junge Marokkaner ist nervös, denn gleich wird er Deutscher.

Auch die anderen dreizehn, denen an diesem Mittwoch im Rathaus von Hernes Oberbürgermeister Wolfgang Becker höchstpersönlich ihre Einwanderungsakte überreicht werden wird, haben sich schick gemacht. „Ich bin ziemlich aufgeregt. Der Tag ist mir sehr wichtig“, sagt Svitlana Muchnyk, 21, in Kiew geboren, seit acht Jahren in Deutschland. Zwischen den Sätzen lacht sie schnell. Jetzt sitzt sie zwei Stühle neben Ouchani in der ersten Reihe, hinter ihnen Angehörige und Freunde. Svitlana hat, nach Halt suchend, ihre schmalen Hände auf den Tisch gelegt.

Als das Salonensemble sein „Neapolitanisches Ständchen“ beendet hat, sagt Oberbürgermeister Becker zum Publikum: „Der gewichtige Schritt, den Sie heute vollziehen, ist ein Bekenntnis zu Ihrer neuen Heimat Deutschland, zu Ihrer Heimat Herne, in der Sie auf Dauer leben wollen. Darüber freuen wir uns.“

Mit dem symbolischen Akt will die Stadt Herne – knapp 170.000 Einwohner, davon 20.000 Migranten – „nach außen ein sichtbares Zeichen setzen, zeigen, dass Migranten willkommen sind“, sagt Festinitiator Michael Barszap, Leiter der Koordinierungsstelle für Migranten. „Schön wäre“, sagt er, „wenn das immer so sein könnte, aber das geht ja nicht bei 600 Einbürgerungen im Jahr.“

Auf die Verfassung schwören, wie in den USA üblich, das brauchen die neuen Deutschen nicht, aber in Herne bekommt jeder statt eines neuen Passes und Einbürgerungsurkunde ein paar persönliche Worte, ein Grundgesetz und ein Buch über die Stadt in die Hand gedrückt – die sieben neuen weiblichen Deutschen außerdem Sträuße aus gelben Tulpen, Fresien, Rosen, mit Steckmoos und Buchsbaum.

„Ich hoffe, dass Sie sich in Herne wohl und zu Hause fühlen“, sagt Wolfgang Becker. Niranjani Ratnasingam aus Sri Lanka, 26, hat ihrerseits Blumen mitgebracht – für den Oberbürgermeister. Die Frau mit den langen Haaren strahlt.

So vorbildlich der Akt, so freundlich die Gesten, wirken die neuen Deutschen bei der Zeremonie fast so, als gingen sie auf Scherben. Wenn sie aufgerufen werden, treten sie zaghaften Schrittes vor und gucken schüchtern in die verschiedenen Gesichter des städtischen Empfangskomittees. Während die Fotografen geschäftig durch den Ratssaal schleichen, nehmen sie beinahe demütig die Urkunden, Gratulationen und Gaben an, so als könnten sie noch etwas falsch machen. Die noch Wartenden sitzen fast reglos in einer Reihe und fixieren ihren Blick – auf den Tisch, auf ihre Hände, an die Wand. Nur das italienische Ehepaar Lucia und Antonio Longo, 48 und 51, nickt wohlwollend und genießt bei der Übergabe das Rampenlicht.

Dass langjährige Einwanderer, wie Antonio Longo, Betonbauer aus der Ära, als Migranten noch Gastarbeiter hießen, so viel Aufmerksamkeit bekommen, ist selten. „Die gegenwärtige Integrationsdebatte konzentriert sich zu stark auf Neuzuwanderer“, heißt es in einem mit den Wohlfahrtsverbänden verabschiedeten Positionspapier über die Anforderungen an eine moderne Integrationspolitik. Deshalb lobt Bernd Knopf, Sprecher von der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung Marieluise Beck, die so genannte Integrationsoffensive in Herne, realisierbar sei sie allerdings nur auf „regionaler Ebene“. Man werde in Deutschland keine „Stadien füllen mit Einwanderern, die die Nationalhymne singen“, wie in den USA.

Aber ist Deutschland nun ein Einwanderungsland? Ja, sagt Knopf, doch das hieße noch lange nicht, dass alle das akzeptieren. Das ist absurd auch deshalb, weil hierzulande die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe jene der Alten mit Migrationshintergund ist: Statt Kaffee und Kuchen gibt’s in Altersheimen dann Börek und Tee – alles eine Frage der Integration.

Nur wie, bleibe die Frage. Seit Monaten ringen Rot-Grün und Union um ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz – und neben Grundsätzlichem gehe es beim Thema Integration vor allem um Geld. Und das ist ein Missverständnis, wenn man einer Zeremonie wie in Herne zuschaut: Wichtiger scheint Neubürgern zu sein, willkommen geheißen zu werden – und nicht nur mit Brief und Siegel.

Vierzehn frisch beurkundete Staatsbürger stehen nun bei Lachshäppchen, Schnitzel und Spargelsuppe in einem kleineren, gemütlichen holzgetäfelten Saal. Sie tauschen sich aus, rauchen, trinken Bier, Cola oder Sekt („Herner Flaschengärung“).

Jetzt ist Zeit für Zukunftspläne. Sibel Garip, 19, ein schwarzweiß gepunktetes Tuch um den Kopf, steht kurz vor dem Abitur und will Jura studieren. Den neuen Pass sieht sie pragmatisch: „Nationalität ist doch inzwischen für viele Jugendliche nicht mehr so wichtig. In meinem Alltag wird es nichts verändern, nur dass ich eben Vorteile habe, beim Studieren oder Verreisen.“

Und Svitlana Muchnyk erzählt: „Gerade habe ich meine Ausbildung zur Kosmetikerin abgeschlossen. Jetzt möchte ich Fuß fassen.“ Sie wird ihren ukrainischen Pass behalten, obwohl der deutsche Stempel ihn eben für „ungültig“ erklärt hat. Das geht dann, wenn der Zweitstaat dem zustimmt.

Darüber sind sie und ihre Mutter, die bereits Deutsche wurde, sehr froh, denn die Verbindung zur Heimat ist sehr stark, obwohl fast die gesamte Familie in Deutschland lebt. Untereinander reden sie russisch. „Das hier“, die Mutter macht mit der Hand eine Geste in den Saal hinein, „kommt von Herzen, so wirklich von Herzen.“

Nicht nur die Ukraine, auch Italien erlaubt seinen Auswanderern einen Zweitpass. Für die Longos war dies der wichtigste Grund, nach knapp 40 Jahren Deutsche zu werden. „Von der einen Staatsbürgerschaft können wir uns nicht trennen, und die andere wollen wir aber doch haben“, sagt Lucia Longo in fließendem Deutsch für sie beide. Und: „Endlich dürfen wir wählen. Das hat uns all die Jahre geärgert. Wir freuen uns schon auf die nächste Bundestagswahl“, sagt sie, und ihr Mann nickt wieder.

Wie Musik muss solch ein Satz in den Ohren der Herner Stadtverwalter klingen. Soll doch die Integrationsoffensive eine „vollwertige Beteiligung der Migranten am öffentlichen Leben“ nach sich ziehen, wie es offiziell heißt. Auch in anderen Städten, wie Essen oder Duisburg, in Bezirken Berlins oder Hamburgs, arbeiten die kommunalen Gremien an der Verbesserung des Zusammenlebens von Einwanderern und eingeborenen Deutschen.

Der Landtag von Nordrhein-Westfalen empfiehlt allen Kommunen, sich an Herne ein Beispiel zu nehmen. Mit griffigen Konzepten werde ein „wilder Aktionismus“ verhindert, viel Zuhören sei wichtig, und man müsse vor Ort „genau gucken, wo der Schuh drückt“, sagt der Herner Integrationsexperte Barszap. Schuhe drücken in Herne zum Beispiel deutschen Rentnern, die sich auf einem Spaziergang von laut diskutierenden türkischen Jugendlichen bedroht fühlen.

Wird sich dieses Unbehagen je legen? „Ja, alles wird sich ändern“, sagt Karim Ouchani, bevor er den Saal verlässt. Keine Zeit mehr, die Pflicht ruft. Er muss zur Arbeit, er ist Mitglied einer Sicherheitsfirma. Im Fußballstadion von Wattenscheid sorgt er für Ordnung. Nur eine Zwischenetappe: „Ich will ja Popstar werden.“ Und sagt schließlich: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“