: Der Trug von Autonomie
Der Rechts-Senat beantworte die Missstände an den klammen Hochschulen restriktiv mit Gebühren und verschärfter Studierendenauslese, warnt die Uni-Streikzentrale im taz-Interview. Protest gegen Hochschulumbau geht weiter
Interview: Eva Weikert
taz: Für Kita-Plätze werden Eltern zur Kasse gebeten, fürs Studium nicht. Findet ihr das gerecht?
Golnar Sepehrnia: Natürlich ist es richtig, dass jeder einen kostenlosen Kita-Platz bekommen soll. Genauso wie es richtig ist, ein kostenloses Studium anzubieten. Wir kritisieren, dass der gesellschaftliche Reichtum immer stärker in den Händen der Reichen liegt. Darunter leiden auch die Hochschulen, die dringend mit mehr Geld ausgestattet werden müssen. Finanzieren kann man das über eine Vermögenssteuer und eine höhere Unternehmensbesteuerung.
Ihr seid gegen Gebühren, weil diese soziale Benachteiligung verstärkten. In Ländern mit Gebühren studieren aber mehr Kinder einkommensschwacher Familien als in Deutschland.
Jan Wischweh: Pisa zeigt, dass die wesentliche soziale Auslese schon in den Schulen in Deutschland erfolgt. Und oft können sich sozial Schwache in anderen Ländern nur schlechte Unis leisten. Hier haben wenigstens alle Unis etwa das gleiche Niveau.
Sepehrnia: Gebühren verstärken nicht nur die soziale Selektion. Sie erhöhen den Druck auf die Studierenden, sich auf die Beschäftigung damit zu beschränken, was später auf dem Arbeitsmarkt nützt. Gebühren sind ein Zurichtungsinstrument.
Ihr fordert statt Gebühren soziale Absicherung. Was heißt das?
Wischweh: So wie es richtig ist, Azubis Geld zu zahlen, weil sie abgesichert werden müssen und zudem produktiv sind, ist es richtig, dass Studierende Geld erhalten. Die sind wissenschaftlich produktiv. Wir stellen uns eine Sockelfinanzierung für alle von einigen hundert Euro vor.
Der Senat gibt den Hochschulen mehr Autonomie etwa bei der Studierendenauswahl. Der so entstehende Wettbewerb unter den Unis soll deren Qualität bessern.
Sepehrnia: Das Autonomie-Versprechen ist eine Farce. Wegen der knappen Mittel müssen sich die Hochschulen willig zeigen gegenüber der Behörde, die ihre politischen Forderungen in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen stellt. Dazu gehört die Einführung bestimmter Studiensysteme, des Auswahlverfahrens, von Gebühren, das Streichen kritischer Wissenschaften wie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Wenn man diese Forderungen erfüllen muss, um weiter gut finanziert zu werden, hat das mit Autonomie nichts zu tun. Genauso wenig wie die Einführung des neuen Hochschulrats.
Wischweh: Besonders perfide finde ich das Auswahlrecht an den Studierenden. Das ist ein Ausschlussverfahren.
Wieso sind Fachnoten und Motivationsnachweise als künftige Auswahlkritierien ungeeignet?
Wischweh: Es ist wissenschaftlich belegt, dass Schulfächernoten und Studienleistungen nicht korrelieren. Jetzt sollen sich die Leute zusätzlich zur Schule fit machen, um studieren zu dürfen. Das kann sich nicht jeder leisten. Das Auswahlverfahren wurde nur wegen des Mangels an Studienplätzen erfunden. Darüber hinaus fördert es die professorale Selbstherrlichkeit.
Ihr kritisiert den Hochschulrat, der die strategische Steuerung der Uni übernimmt, dafür, dass er wirtschaftlich dominiert sei. Aber nur drei von neun Mitgliedern entstammen der Wirtschaft.
Sepehrnia: Die Dominanz ist keine Frage der Zahlen, sondern der Hegemonie. Das Gremium wurde nicht gewählt, sondern von oben eingesetzt. Wir haben eine Regierung, die von der Handelskammer gelenkt ist. Und nach deren politischer Grundorientierung wurden die Mitglieder des Rats ausgewählt.
Die Hälfte sucht aber die Uni aus. Durch das Gremium ist nur der Rechtfertigungsdruck auf die Uni erhöht für das, was sie leistet.
Wischweh: Keiner von uns fordert, dass die Hochschulen frei im Raum schweben und aus sich heraus Gutes schaffen. Öffentlichkeit und Politik sollen kritisch beobachten und verhandeln, was in den Lehrstätten passiert. Ein Beirat aus Vertretern aller gesellschaftlicher Gruppen ist eine alte Uni-Forderung.
War früher alles besser?
Wischweh: Nein, die Probleme sind da. Etwa, dass die Hochschule laut Präsidium zu 30 Prozent unterfinanziert ist, überfüllte Seminare und mangelnde Betreuung der Studierenden. Deren soziale Lage ist schlecht. 70 Prozent müssen arbeiten. Und in den Wissenschaften wird zu wenig an den großen gesellschaftlichen Problemen gearbeitet. Diese Missstände werden vom Rechts-Senat aber nur restriktiv, etwa durch Gebühren, beantwortet. Vernünftigt wäre die Demokratisierung der Hochschulen und zusätzliche Finanzmittel.
Wird wieder gegen die Hochschulpolitik des Senats gestreikt?
Wischweh: Das ist nicht vorherzusagen. Wir haben aber über die Ferien eine enorme Protestaktivität entfaltet. Es gibt viele Arbeitsgruppen, die sich inhaltlich mit dem Hochschulumbau befassen oder den Protest des Sommersemesters vorbereiten.
Sepehrnia: Entscheidend ist, dass viel darüber diskutiert wird, was zur Verbesserung der Lage getan werden muss. Dabei geht es mir nicht darum, ob das durch die Blockade von Seminaren erreicht wird. Ich halte es aber für verantwortungslos, sich des Problems nicht anzunehmen.
Wissenschaftsenator Dräger wurde für seine Politik mit einer Torte beworfen. War das okay?
Die Aggression von Dräger gegen demokratische Massenunis ist nicht okay. Man muss sich weit über die Uni hinaus über prinzipielle gesellschaftliche Veränderungen verständigen. Und ich glaube nicht, dass Dräger das richtig findet. Daher sehe ich keine Chance zum Dialog.