„Die CDU hat sich pulverisiert“

Ganz anders, als alle dachten: CDU verliert massiv an Stimmen, SPD bleibt, Grüne und Ultrarechte gewinnen. CDU-Hattig schon zurückgetreten, Innensenator Böse „deprimiert bis zum Geht-nicht-mehr“

„Wenn überhaupt, dann wird die CDU nur noch zwei Senatoren stellen.“„Die SPD weiß,was ihrSpitzenkandidat versprochen hat.“

Die Bürgerschaftswahl hat viele Gewinner und sie hat eine große Verliererin: die CDU. Mit 29,9 Prozent der Stimmen hat sie 7,2 Prozent gegenüber der letzten Wahl verloren (Stand ARD-Hochrechnung 19.33 Uhr). Wirtschaftssenator Hattig hat bereits Konsequenzen gezogen, er stehe als Senator nicht mehr zur Verfügung, erklärte er gestern Abend. Gewinnerinnen sind die SPD (42,1 Prozent, 1999: 42,6), wenngleich mit leichter Delle, vor allem aber die Grünen (12,8; 1999: 8,9) und die Ultrarechten. Die DVU (2,2 Prozent) hat zwar an Stimmen verloren, dafür aber die neu angetretende Schillpartei mit 4,6 Prozent einen massiven Erfolg errungen. Die FDP schafft mit 4,2 Prozent den Einzug in die Bürgerschaft dank Bremerhaven. Die PDS kommt auf 2,9 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag in einzelnen Bezirken mit deutlich unter 50 Prozent insgesamt noch niedriger als vor vier Jahren (60 Prozent).

Die extrem niedrige Wahlbeteiligung aber spielte gestern Abend erstmal keine Rolle: frenetischer Jubel bei der SPD-Wahlparty angesichts der ersten Hochrechnungen, ähnliches in der Bürgerschaft. „Sehr viel positiver als ich erwartet habe“, sei die Wahl ausgegangen, so Henning Scherf gestern Abend – ein anderer Ausgang wäre „auch nicht so schrecklich gewesen. Ich bekomme eher einen Schrecken über einen so dicken Vertrauensbeweis.“ Henning Scherf erklärte weiter. „Ich habe das Votum der Wähler begriffen: Kein Hickhack und ein ‚Halte Kurs‘.“

Über das Votum der Wähler waren die Grünen gestern Abend ganz anderer Meinung: „Die CDU ist praktisch abgewählt worden“, erklärte Ralf Fücks, Ex-Umweltsenator und Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung, „jetzt die Große Koalition fortzusetzen, wäre ein Armutszeugnis der SPD.“ Die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Karin Göring-Eckhart, erklärte: „Rot-Grün hat die Wahl gewonnen.“ Es gebe angesichts der nahen absoluten Mehrheit der SPD „keine guten Gründe“ für eine Fortsetzung der Großen Koalition, so die grüne Spitzenkandidatin Karoline Linnert. Scherfs Wille sei das eine, „aber die Partei hat auch noch ein Wort mitzureden.“ Linnert weiter: „Wir haben keine Bange vor der Oppositionsrolle, wir machen das auch weiter.“ Man werde Scherf „nicht hinterherlaufen“. Zur CDU bemerkte die grüne Nummer Eins: „Die CDU hat sich pulverisiert, weil sie alle Inhalte hat fahren lassen.“

Die CDU indes war gestern Abend sichtlich geschockt. Die SPD habe die Wahl „fälschlicherweise zum Kopf-an-Kopf-Rennen stilisiert“, so CDU-Fraktionschef Jens Eckhoff, „und die Wahl zu einer Oberbürgermeister-Wahl gemacht.“ Was seine eigene Zukunft anging, blieb Eckhoff gestern Abend zugeknöpft: In den vergangenen Monaten hatte er mehrfach angedeutet hatte, er könne sich auch einen Abschied aus der Politik vorstellen – Gerüchte sehen ihn bei dem Haven-Höövt-Investor Ulrich Albrecht. Dazu gab er am Wahlabend keinen Kommentar.

Ein sichtlich getroffener Bernd Neumann erklärte, die Wähler wünschten die Fortsetzung der Großen Koalition. Dass CDU-Spitzenkandidat Hartmut Perschau einen Fehler gemacht habe, verneinte er. CDU-Spitzenkandidat Hartmut Perschau sah das genauso. Er begründete die hohen Verluste seiner Partei mit einer Wählerwanderung hin zur SPD. Die Menschen hätten Angst vor Rot-Grün in Bremen gehabt und die Sozialdemokraten gewählt, um die Große Koalition zu stärken. Die CDU habe dagegen „nicht viel falsch gemacht“. „Deprimiert bis zum Geht-nicht-mehr“ zeigte sich Innen- und Kultursenator Kuno Böse: „Das Ergebnis entspricht nicht den Leistungen des Senats.“ In der CDU gibt es Stimmen, die angesichts des miserablen Ergebnisses, ein Ende der Regierungsarbeit erwägen. Dazu passt, dass Böse gestern sagte: „Wenn überhaupt, dann wird die CDU nur noch zwei Senatoren stellen.“ Er sei besonders getroffen vom Erstarken der Ultrarechten, denn man könne „doch keine rechtsstaatlichere Politik machen als ich es tue.“ Auf die Frage, ob er als Senator weiter zur Verfügung stehe, hatte Kuno Böse nur ein Achselzucken übrig.

SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen erteilte gestern Abend etwaigen Rot-Grün-Überlegungen in der eigenen Partei eine Absage: „Die SPD weiß, was ihr Spitzenkandidat versprochen hat.“ eib, hey, jox, ksc, kawe, sgi