: Das Ende ist fern
Der Deal zum Emissionshandel ist eine Niederlage für Jürgen Trittin. Wer jetzt aber den Tod der Umweltpolitik ausruft, der irrt. Sie missglückt häufig – aber auf hohem Niveau
Jetzt wetzen die Totengräber wieder ihre Spaten. Wenn über die Lage der Umweltpolitik in Deutschland nach dem Kompromiss zum Emissionshandel räsonniert wird, sehen viele Kommentatoren bereits die Aasgeier kreisen. Nach der Niederlage von Umweltminister Trittin lautet der Tenor: In der Rezession ist das umweltpolitische Rollback unvermeidlich; Jürgen Trittin ist ein Verlierer; Öko ist out.
Das Gegenteil ist richtig. Der Umweltschutz ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und da wird er auch bleiben. Die Umweltpolitik von Rot-Grün ist zwar kein Ruhmesblatt, aber dennoch eine seltene Erfolgsstory. Und in dem vielstimmigen Betroffenheits-Chor, das Umweltministerium scheitere mit seinen Vorhaben, hört man auf manchen Seiten durchaus die Hoffnung auf eine Voraussage, die sich von selbst erfüllt: Wenn nur alle sagen, dass es mit Nachhaltigkeit, ökologischer Modernisierung und all diesen unaussprechlichen Dingen zu Ende geht, dann wird es auch so kommen.
Selbstverständlich ist Deutschland kein Ökoparadies. Beim Verkehr, bei der Energieversorgung und in der Landwirtschaft gehen die Trends nach wie vor in die falsche Richtung. Politik und Umweltszene haben es nicht geschafft, aus dem mündigen Verbraucher auch einen umwelt- und sozialbewussten Einkäufer zu machen. Und viel zu oft lassen wir uns einreden, Müll zu sortieren und bleifreies Benzin zu tanken, bringe die Umwelt nach vorn.
Doch bei den Fortschritten zu einer nachhaltigeren Gesellschaft hat Deutschland einige Entscheidungen getroffen, die nicht einfach wegen ein paar Millionen Tonnen CO2 mehr oder weniger ihren Wert verlieren. Wir zahlen brav unsere Ökosteuer und schaffen sie auch nicht ab – weil sonst schon wieder ein Milliardenloch im Haushalt droht. Wir reduzieren unseren Ausstoß von Klimagasen (wenn auch viel zu gering), statt fröhlich drauflos zu verschmutzen wie viele andere Länder. Das Dosenpfand hat die Einwegverpackungen in den Supermärkten zurückgedrängt.
Die erneuerbaren Energien werden trotz windiger Spiegel-Titelgeschichten weiter ausgebaut. Die Gentechnik auf dem Acker soll durch ein restriktives Gentech-Gesetz aus dem grünen Verbraucherministerium ein möglichst kleines Pflänzchen bleiben. International ist Deutschland einer der Schrittmacher für eine Politik der Nachhaltigkeit. Und dazu kommen die kleinen und großen Erfolge aus der ersten rot-grünen Legislaturperiode: Atomausstieg, Naturschutzgesetz, mehr Geld für die Bahn, Ende für den Transrapid, Agrarwende.
Die Umweltpolitik von Rot-Grün ist kein Rohrkrepierer. Sie ist ein Vorzeigeobjekt mit Schrammen. Und das trotz Clement, Rogowski und Merkel, trotz einer SPD, die im Zweifel für die alten und gegen die neuen Strukturen votiert, trotz der Rezession und trotz eines selten erlebten ideologischen Sperrfeuers gegen die Umweltpolitik. Jürgen Trittin ist der Watschenmann des Kabinetts und der böse Bube für Bild und BDI. Doch Trittin sitzt am Kabinettstisch zwischen lauter Kolleginnen und Kollegen, die gern so erfolglos wären wie er. Hätte Ulla Schmidt ihre Hausaufgaben gemacht wie Trittin, wären wir bei Rente und dem Umbau des Gesundheitssystems deutlich weiter. Hans Eichel ist mit seiner Vision von der Sanierung des Haushalts gescheitert. Manfred Stolpe hat sich mit zwei der größten deutschen Konzerne bei der Maut bis auf die Knochen blamiert. Peter Struck kommt mit der Reform der Bundeswehr nicht voran. Und Wolfgang Clement wäre bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gern so weit wie Jürgen Trittin bei der Entwicklung der Windkraft.
Die Schwäche der Regierung beim Thema Umwelt liegt nicht am Umweltministerium, sondern an den anderen Ressorts. Die haben nämlich verdrängt, dass diese Regierung die ökologische Erneuerung als Querschnittsaufgabe definiert hat. Also müssten eigentlich die Ministerien für Wirtschaft, Verkehr, Forschung, Gesundheit oder Finanzen ökologische Aspekte in ihre Politik einbauen. Dazu aber müssen sie regelmäßig getrieben werden.
Das Ende der Umweltpolitik ist das noch lange nicht. Denn die Akteure auf nationaler Ebene und in der EU bohren weiter langsam dicke Bretter. Das austarierte Zusammenspiel zwischen Berlin und Brüssel einerseits, den Forschungsstellen und Umweltverbänden andererseits funktioniert wie eh und je. Anders als etwa Kirchen und Gewerkschaften klagen die Umweltverbände nicht über Mitgliederschwund und leere Kassen, sondern freuen sich über gleichbleibend hohe Spenden.
Die Verbindungen zur globalisierungskritischen Bewegung sichern den Ökos einen Platz in der aktuellen Diskussion. Umweltschutz und verwandte Branchen sind zu einem wichtigen Standbein der deutschen Industrie geworden, bei den erneuerbaren Energien arbeiten deutlich mehr Menschen als in der Atomwirtschaft. Schließlich ist das Image von allem, wo „Bio-, Umwelt-, Öko-“ draufsteht, enorm: Regelmäßig landen Umweltverbände auf den ersten Plätzen, wenn gefragt wird, wem man denn noch vertrauen kann. Und kein Unternehmen kann es riskieren, als Ökoschwein an den Pranger gestellt zu werden.
Wer jetzt vor diesem Hintergrund dem Thema Umwelt in Deutschland das Wasser abgraben will, der denkt zu kurz – oder er kapituliert vor der Kurzsichtigkeit der anderen. Denn die Kassandrarufe gründen sich zu einem guten Teil auf Täuschung und Selbsttäuschung. Eines der erfolgreichsten Märchen ist die Lüge von der Belastung der deutschen Industrie etwa durch die Ökosteuer. Fragt man genauer nach, gibt selbst die Wirtschaft zu, dass sie unter dem Strich entlastet wird. Auch beim Emissionshandel werden viele Unternehmen viel Geld verdienen, vor allem, wenn sie sich an die gute kapitalistische Praxis halten „(Klima-)Leistung muss sich wieder lohnen“. Zu viel Geld für die Windkraft? Im Einzelfall mag das sein. Aber die Mittel für die erneuerbaren Energien verblassen gegenüber den Steuergeldern, die über Jahrzehnte und heute noch in Kohle und Atom gesteckt wurden.
Das Ende der Umweltpolitik auszurufen, ist aber auch Selbstbetrug. Das Klima wird sich ändern, der Verkehr wird zunehmen, die Gentechnik wird in unser Essen kriechen, das nächste Hochwasser ist uns sicher, Konflikte um Ressourcen und globale Flüchtlingsströme werden zunehmen – auch wenn wir ganz, ganz fest die Augen zukneifen. Umweltpolitik kann die deutsche Gesellschaft darauf vorbereiten, nicht mit den Lösungen des 19. Jahrhunderts vor den Problemen des 21. Jahrhunderts zu stehen. Ob sie das schafft, ist ein täglicher Kampf – auch mit Rückschlägen wie dem Deal beim Emissionshandel. Aber damit wird die Chance auf eine nachhaltige Entwicklung nicht begraben. Die Welt geht nicht so schnell unter, auch die Welt der Ökos nicht. Deshalb ist es besser, ein paar Frösche, Kröten und Lurche zu retten als weiter zu unken. BERNHARD PÖTTER
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