peter ahrens über Provinz
: Zürich, teure Schöne

Ein Vermögen für eine Bratwurst und Tauben ab ins Reservat

Ich habe den Test gemacht. Auf die Idee hat mich ein Kollege von der Welt gebracht. Der erzählte mir letztens, dass er gerade von einer Viertagesreise auf Kuba zurückgekehrt sei. Wohl aufgrund meines Verständnislosigkeit signalisierenden Gesichts ergänzte er, dass vier Tage für Kuba völlig ausreichend seien. Er habe alles gesehen. Das Morbide eben und vor allem, dass dort ganz viele Leute in den Startlöchern hocken und warten, dass es endlich losgeht. Beruhigend festzustellen, dass es demnach für Welt-Redakteure noch genug Betätigungsfelder in puncto Existenzgründerberatung in Mittelamerika gibt, wenn ihre Zeitung ob der Medienkrise den Weg alles Fleischlichen gegangen sein sollte. Außerdem habe ich mir gedacht: Wenn vier Tage für ganz Kuba reichen, sollte ein Tag für Zürich mehr als genug sein.

Ich war vorgewarnt: Eine Bekannte aus Berlin, die zurzeit in der Stadt lebt, hatte mir berichtet, dass die Menschen hier mit dem Staubsauger die Straßen vor ihrer Haustür sauber saugen und die Fahrräder Nummernschilder besitzen. Außerdem verzögen sich Kneipenbekanntschaften regelmäßig spätestens gegen 23 Uhr, um daheim noch ein gutes Buch zu lesen und am kommenden Tag ausgeruht und frisch rasiert zu sein. Schließlich gelte es internationale Finanzgeschäfte zum Wohle der Welt und des Währungsfonds voranzutreiben.

Ich hatte schon schlecht gelaunt den Fuß in diese Stadt gesetzt, da ich auf der neunstündigen Bahnreise von Hamburg nach Zürich neben einem kontinuierlich quengelnden Kleinkind gesessen hatte, das ohne Punkt und Komma seinen Unmut über das Dasein im Allgemeinen und mehrstündige Zugfahrten im Besonderen kundtat, dies in erstaunlicher Lautstärke. Als ich irgendwann eine vorsichtige Bemerkung in Richtung des vermeintlichen Kindsvaters tat, wurde mir kopfschüttelnd mitgeteilt, wie arg es denn mit unserer Gesellschaft bereits bestellt sei, in der Kindesgeräusch als störend empfunden werde. Dabei habe ich gar nichts gegen Kindesgeräusch. Aber ein zweistündiges „Tatatatatat“-Tremolo kann doch wohl die Bemerkung erlauben, dass es vielleicht an der Zeit sei, sich im Sinne des aktiven Spracherwerbs auch mal eine andere Silbe anzueignen, um im Leben wirklich voranzukommen.

Zürich hat sich, das muss ich eingestehen, alle Mühe gegeben: Der See war blau, das Bier kalt, am Abend gab es gutes Theater, ich übernachtete in einer WG, in der auch eine Tochter von Günter Grass lebt, und aus der Kneipe wurden wir erst gegen zwei Uhr hinauskomplimentiert, was für Schweizer Verhältnisse eine unglaubliche Zeit darstellen muss. Auch sonst ist Zürich ein Platz zum Staunen: Hier haben die Tauben einen eingezäunten Platz am Zürichsee als festen Aufenthaltsort zugewiesen bekommen. Nachgerade sklavisch halten sich die Vögel an diese Vorgabe.

Der Bahnhof ist so riesig, dass die Züricher darin ein überdimensioniertes Kino mit Tribünenplätzen aufgebaut haben, und am Sonntag, wenn die Schweizer Sonne scheint, schieben sich all die Glücksbeseelten, weil wohlhabend und unbeschwert, sonnenbebrillt über ein paar Quadratmeter Flaniermeile am Seeufer. Meine Berliner Bekannte sagt, es sei schlimmer als bei der Love Parade. Die Bratwurst kostet nach aktuellem Umrechungskurs fünf Euro, dazu eine Tasse Kaffee für drei Euro – nach spätestens vier Bier ist das Monatsbudget aufgebraucht. Länger als einen Tag kann man sich in dieser schönen Stadt also sowieso nicht aufhalten, wenn man nicht maßloser Verschuldung anheim fallen will.

Mehr kann ich zu Zürich nicht sagen, aber mehr muss man über Zürich auch nicht wissen. Wahrscheinlich hätten es für Kuba auch zwei Tage getan.

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