Die totale Grinsekatze

Dadaland sucht den Super-Duper: In seiner Diplominszenierung zieht Julius Jensen dezent Kurt Schwitters‘ Welt-Untergangs-Oper „Zusammenstoß“ für den Popstar-Hype um

Man ist überzeugt, dass Claus Peymann und Dieter Bohlen sich prima verstünden

von CHRISTIAN T. SCHÖN

Dada lebt! Unter der Schirmherrschaft von Dieter Bohlen schüttelt die verloren geglaubte Bewegung ohne Ende Superstars aus dem Ärmel, lanciert eigene Sensationsmeldungen in die Medien-Meinungsführerschaft und zeigt der Konjunkturschwäche einmal, was eine richtig marktwirtschaftliche Harke ist. Nur gemerkt hat das noch keiner, und darum hat sich Julius Jensen von der Superstar-Inflation für sein Regie-Diplom auf Kampnagel erfassen lassen. Auf dieser Woge reitet seine herzerfrischende Inszenierung von Kurt Schwitters‘ Oper Zusammenstoß – sehr dezent, sehr leicht.

„Ich werde noch berühmt!“ ruft denn auch Astronom Virmula (Cüneyt Akbaba) und ist völlig aus dem Häuschen, als er einen Stern entdeckt, der auf die Erde zurast und sie zertrümmern wird. Der Hype kommt ins Rollen und zieht seine Kreise. Horror ist den Akteuren unbekannt, Kalauerstimmung herrscht – geschuldet Schwitters‘ grotesker Vorlage, die Regisseur Jensen mit effektvoller Strenge und Präzision durchzieht. Sogar technischen Anweisungen lässt er von einem Flipp-igen – vgl. Flipp, den Gefährten der „Biene Maja“ – Kerl mit gekünstelten Gesichtszügen vortragen, der zwischendurch Gitarre klampfend einen auf DSDS-Alex‘ „Take me tonight“ macht. Aufgepoppt heißt das ganze dann „The Final Night“, und T-Shirts gibts am Ausgang.

Zusammenstoß ist dabei gar keine derart unsinnige „groteske Oper“ wie der Name Schwitters vermuten lässt (und absurd ist sie allenfalls in ihrer technischen Überpräzision). Wer es schafft, COMMERZ gewinnbringend zu zerschnippeln, dem gelingt auch eine leichtfüßige Satire auf Weltwirtschaftskrise, die Oper entstand 1927, und Katastrophen-Management: Die Ordnungspolizei (Yuri Englert) wird es schon richten.

Jensen hat Schwitters‘ Losung verstanden: Alles Show. Die Szenerie spielt 1927, Khaki ist angesagt (Kostüme: Andrea Kerner und Ines Burisch). Die Bühne hält Rena Donsbach in funktionalem low tech mit rotem Samtvorhang und – laut Fachjargon – James-Bond-Spot. Gesungen wird in Vollplayback, ein Regisseur ruft: „Und bitte!“, Kinderträume werden wahr. Sein Regisseur-Double (Simon Zigah) lässt Jensen dieselbe Szene viermal wiederholen. Auf die politisch brisant geladene Grundeinstellung mit Bin-Laden-Bart („Okay, politisches Theater, akzeptiere ich, akzeptiere ich“) folgt eine flippige, eine Kiffer-Version und eine ungespielte Variante. Eine unterhaltsame Kostprobe von Jensens Können – aber auch eine akademische Fingerübung, nach der man überzeugt ist, dass Claus Peymann und Dieter Bohlen sich prima verstehen würden: „Wenn ich dich sehe, sehe ich ein großes schwarzes Loch auf der Bühne.“

Das Ensemble macht die sprunghaften Regieeinfälle und Schwitters‘ Szenen-Patchwork mit, ohne Murren, geradezu freigiebig: kalauernd mit übertriebener Mimik und Grimassen hart an der Kitsch-Grenze. Doch auf einer guten Textvorlage fußend hat das Stil. Bis ins Detail sind Musik und Licht, chorische Szenen und Pantomime aufeinander abgestimmt. Das Schwitters‘sche Kuddelmuddel wird überschaubar. Der Depri-Stimmung wird die totale Grinsekatze entgegengesetzt. Deren Körper verschwindet bekanntlich, kein Grund zum Traurigsein, ihr Grinsen bleibt.

Zum künstlerischen Selbstverständnis des Dadaismus hat von Anfang an der Ruf nach dem eigenen Ende gehört. Dem Kapitalismus, seinen Funktionären und Deutschlands Superstars ist dieser Gedanke fremd. Julius Jensen fordert mit Kurt Schwitters die Gleichberechtigung aller Materialien. An alle Dieters, Kübelböcks und Juliettes der Welt ergeht der Aufruf: Macht die MERZ-Weltrevolution. Jetzt! Wo ist der Aus-Knopf?

letzte Vorstellung: heute, 20 Uhr, Kampnagel