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Archiv-Artikel

Fußball ist wie Golf

Das 0:0 zwischen Mönchengladbach und Leverkusen beschert eine Regeldebatte um schrumpfende Strafräume

MÖNCHENGLADBACH taz ■ Im Mittelpunkt hatten die Linienwächter gestanden. Allerdings nicht, was ein 0:0 vermuten lassen könnte, durch besondere Reflexe. Sondern aus übergeordneten und übergriffigen Gründen. Übergeordnet bezieht sich auf Gladbachs Schweizer Nationalkeeper Jörg Stiel. Dessen Heimattrainer Köbi Kuhn war über Stiels wochenlanges Bankdrückerdasein sauer und hatte seinen Gladbacher Kollegen Holger Fach deshalb unter der Woche „ein Arschloch“ genannt. Fach ließ sich nicht zweimal beschimpfen und stellte Stiel wieder ins Tor. Zu halten bekam der reanimierte Kapitän kaum etwas.

Ob Rudi Völler, seit der legendären Island-Reise bekannt schimpfsicher, Bayer-Trainer Klaus Augenthaler mit Worten wie „Auge, du Blinder, hör mit dem Käsescheißdreck auf und lass endlich meinen Nowotny wieder ran“ in die Mangel genommen hatte, wissen wir nicht. Überraschend aber spielte auch Jens Nowotny mal wieder; auch als Kapitän und für den angeblich maladen Lucio. Und er organisierte zweikampfstark die vielbeschäftigte Abwehr, bügelte manch eigene Unbeholfenheit gleich wieder aus und meinte nachher: „Es fehlen noch ein paar kleine Dinge, aber es wird besser und besser.“

Übertölpelt wurde die Bayer-Defensive so selten wie eigene Konter klappten. In Minute 70 aber war Nowotnys Abwehrbollwerk ausgespielt. Arie van Lent versuchte Torwart Jörg Butt an der Strafraumlinie zu überlupfen. Butt wehrte mit beiden Händen ab. Innerhalb, außerhalb? Der Bökelberg erzitterte vor Empörung, nachdem das zweifelnde Unparteiischengespann situativ für den Angeklagten urteilte und weiterspielen ließ.

Die Fernseh-Standbilder bewiesen später: Butt stand zwar auf der Strafraumlinie, aber er hatte wie ein Volleyballer beim Blockversuch ellbogenweit übergegriffen. Das hätte Rot bedeutet. Wirklich? Holger Fach löste eine erregte Debatte aus: „Ich weiß aber auch gar nicht, was jetzt zählt“ – da wo der Übeltäter steht (kein Regelverstoß) oder wo er hingreift? Niemand wollte sich festlegen.

Insbesondere Leverkusens Offizielle gefiel das Denkspiel. Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser musste beim Regelwerk passen: „Ich habe keine Ahnung. Wo steht, wie der Strafraum definiert ist?“ Jürgen Kohler: „Ich weiß es auch nicht, wirklich.“ Kurt Vossen sah es als „Frage der Logik“, dass „der Strafraum senkrecht hoch verläuft“. Aber wo das steht? Schulterzucken.

Kühn geriet die Spekulation von Reiner Calmund. „Normalerweise ist Hand Hand“, befand der Kugelrundmanager, indes sei es „schon etwas irritierend, weil ja der Halbkreis um den Strafraum ins Spiel kommt.“ Den dürfe der Torwart „beim Abschlag ja auch betreten“. Eine verschwurbelt falsche Ansicht, aber entschuldbar, weil Calmund wegen eigener Körperformen womöglich überall irritierende Rundungen sieht.

Es wurden Vergleiche mit Volleyball angestellt und auch mit Golf, wo genau festgeschrieben ist: (Aus-)Grenzen verlaufen stets senkrecht nach oben. Aber ist das beim Fußball auch so? Wäre es womöglich kein elfmeterwürdiges Handspiel, wenn ein Verteidiger von außerhalb in den 16-Meter-Raumes hineinhechtet oder wenn er hinter dem Torpfosten steht und einen Schuss auf der Linie abwehrt? Wäre der Strafraum dann virtuell geschrumpft? „Kannochnichsein“ rheinländerte Calmund.

Und war er im Fall Butt schräg erweitert? Torhüter müssen beim Elfmeter zwar auf der Linie stehen, aber sie dürfen davor mit den Händen herumwedeln. Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer brachte die Debatte auf Linie: Hand ist Hand, Stand egal, Herkunft auch. Fußball ist wie Golf. Es hätte Freistoß und Rot geben müssen. Der Fehler tat ihm Leid.

So durfte sich der nach Europa zurückstrebende Ex-Finalist der Champions League über Regelnachhilfe freuen. Und über einiges Glück. Und die leidenschaftlich fightende Borussia wird das Volleyballspiel endgültig verteufeln. Denn erst missinterpretierte vor knapp drei Wochen der Schiedsrichter im Aachener Pokalhalbfinale einen Alemannia-Abwehr-Schmetterball grob falsch, jetzt folgte der ungeahndete Übergriff.

Egal, sagt Holger Fach, „auch der eine Punkt kann uns noch helfen. Ich bin hundert Prozent sicher, dass wir die Klasse halten.“ Aber nur, wenn die Gegner endlich das Volleyballspiel unterlassen. BERND MÜLLENDER