piwik no script img

Archiv-Artikel

DIE GEBETSMÜHLE Oh Lord, won‘t you buy me a Mercedes-Benz

Meditationsbereich im Geistlichen Zentrum, Messe, Halle 7.1c, Messedamm 22. Gebetszeiten jeweils zur vollen Stunde (14.00–21.00 Uhr), Meditationen im Zwei-Stunden-Takt (10.00–16.00 Uhr)

Selbst hartnäckige Kritiker des Glaubens gehen nicht so weit zu behaupten, dass die Kraft eines Gebets im Quadrat seiner Entfernung abnimmt. Die Meditation scheint jedoch eher umgekehrt eine Kraft zum Nichts zu sein. Um diese (vollkommene) Leere zu erreichen, bedient man sich in China oft einer leeren Wand, daneben gibt es aber auch noch Bild-, Wort-, Psalm-, Bibel-, Atem- und Naturalmeditationen. Ich sah neulich an der Kasse von Wollworth eine etwas verlebte Frau, in deren Einkaufskorb sich zwei Videocassetten, ein roter Schlüpfer und drei Dosen Cola befanden. Eine Weile starrte ich auf diese seltsame Warenzusammenstellung – und fiel plötzlich in eine regelrechte Naturalmeditation.

Gott steckt in jeder Tomate, wie man seit Spinoza weiß, aber günstige Meditationsangebote gibt es heute in jedem Einkaufswagen. Dass die monotheistischen Religionen sich langsam vom Gebet zur Meditation vorwärts tasten, scheint ein Zeichen dafür zu sein, dass sie merken, wie nervtötend diese ewigen Bitten und Wünsche auf Gott wirken müssen. Immer mehr Menschen haben bereits ein Abkommen mit ihm geschlossen: Sie belästigen ihn nicht mehr mit ihrem ganzen persönlichen Scheiß – und er lässt sie ebenfalls in Ruhe, um sich auf Wichtigeres zu konzentrieren. HELMUT HÖGE