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Archiv-Artikel

Das Double als Trostpflaster

Die Verantwortlichen des FC Bayern München akzeptieren den mit 3:1 gegen Kaiserslautern gewonnenen DFB-Pokal plus Meisterschaft schließlich als Entschädigung für die internationale Pleite

Die Verheißung, dass die Hitzfeld-Passion wieder beginnen könnte, schwang mit

aus Berlin MATTI LIESKE

Die Welt des FC Bayern München ist nach dem Gewinn des DFB-Pokals zwar nicht heil, jedoch immerhin halbwegs gekittet. Vor allem aber ist sie fein säuberlich geordnet. Alle, die wirklich wichtig sind für den Meister und Cupsieger, durften beim Saisonabschluss-Bankett nach dem 3:1 gegen Kaiserslautern am lang gestreckten „Tisch 1“ Platz nehmen. Wie einst bei der Tafelrunde von König Artus bildete das Monstrum den Mittelpunkt, um den sich alles andere gruppierte: die Spieler, die Wirtschaftspartner und die übrigen Gäste minderer Wertigkeit. Die ganz Minderen mussten draußen im Foyer der Berliner Zentrale von Sponsor Telekom verweilen.

An Tisch 1 saßen also mit Begleitung die Herren Rummenigge, Hoeneß, Müller-Wohlfahrt, Scherer, Hopfner, Hitzfeld; es saßen dort Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und Innenminister Otto Schily, einige herausragende Geldgeber, und selbst für Franz Beckenbauer hatte sich noch ein Plätzchen am Rand gefunden. Fehlte eigentlich nur Leo Kirch, dessen Beitrag zum viel zitierten Double in dieser Saison ja nicht unerheblich gewesen war. Auch der größte Tisch bietet jedoch nur eine begrenzte Anzahl von Plätzen, weshalb es zum Beispiel Justizministerin Brigitte Zypries nicht geschafft hatte ins Bayern-Elysium. Auch Gerhard Mayer-Vorfelder, der DFB-Präsident, war nicht wichtig genug und musste an Tisch 15, weitab vom Nabel der Macht. Ein Schicksal, das er mit Leverkusens Reiner Calmund teilte, der dafür in der Tischordnung gleich zweimal für die Nummer 16 verzeichnet war. Viel Mann braucht viel Platz.

Während im Foyer sonnenbebrillt Udo Lindenberg umherschlich, der nur ein grünes Bändchen bekommen hatte und nicht mal zu Mayer-Vorfelder an den Tisch durfte, erhob sich drinnen Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge, um den kurzen offiziellen Teil mit einer kleinen Rede zu eröffnen. Bemerkenswert vor allem, dass er Schily vor Stoiber begrüßte – für die fußballerische Vertretung eines Freistaates eine erstaunliche Konzession an den Föderalismus – und in seinen umfangreichen Danksagungen den jüngst durch vorwitzige Äußerungen in Ungnade gefallenen Klub-Präsidenten Franz Beckenbauer wegließ. Das versuchte anschließend Telekom-Vorstand Josef Brauner auszubügeln, der zudem Frau Zypries an ihrem Katzentisch entdeckt hatte.

Ansonst äußerte sich Rummenigge versöhnlich und erneuerte vorsichtig seine einstige These vom besten Bayern-Kader aller Zeiten. Kein Wort mehr von Schande und Blamage, dennoch wurde auch an diesem Abend deutlich, dass Meisterschaft und Pokal den Schmerz über das internationale Debakel lediglich gedämpft hatten. Weit häufiger als der Begriff „Double“ tauchte nämlich das Wortpaar „Champions League“ auf – jener Wettbewerb, in dem die Bayern diese Saison so gar keine Rolle gespielt hatten, höchstens die des Klassendeppen.

Nur wegen des Ausscheidens aus Europas Eliteliga in der ersten Runde seien die Bayern stark genug gewesen, Liga und Pokal derart zu dominieren, sagte Trainer Ottmar Hitzfeld, aber selbstverständich wolle man nächstes Jahr in der Champions League wieder „angreifen“. Und Michael Ballack, mit seinen beiden Toren zu Beginn der frühe Alp im Pfälzer Pokaltraum, müsse noch mehr zur Führungsfigur reifen – „vor allem wegen der Champions League“. Karl-Heinz Rummenigge gestand dem Trainer zu, dass dessen „Leidenszeit“ mit dem Double vorbei sei. Das klang nach Gnadenfrist, denn die Verheißung, dass die Hitzfeld-Passion schnell wieder beginnen könnte, wenn es in der Champions League nicht läuft, schwang unausgesprochen mit.

Nicht nationale Titel, sondern internationale Meriten sind es, welche die Bayern über die Maßen schätzen, weshalb die Freude beim Pokalsieg auch wie eine Pflichtübung wirkte. Die Zahl der ausgegossenen Weißbiergläser blieb gering, lediglich Elber und Kuffour scheinen diesem Brauch noch etwas abgewinnen zu können. Dafür ist vor Kuffour niemand sicher, wie Manager Uli Hoeneß erfahren musste, als ihn im Kabinengang doch noch hinterrücks das feuchte Schicksal ereilte.

Möglicherweise war es auch einfach zu leicht gewesen gegen den 1. FC Kaiserslautern. Bei dem spielte Basler nicht mehr mit, seine Kollegen auf dem Platz aber eigentlich auch nicht. Nach drei Minuten hatten sie sich halb aufgegeben, nach neun Minuten, als es 2:0 für Bayern stand, ganz. Ein Donnerwetter von Trainer Erik Gerets in der Halbzeit rüttelte sie noch einmal auf, doch nur vier Minuten nach Wiederbeginn stellte Pizarro mit dem 3:0 den alten Gemütszustand erneut her. Danach besannen sich die Bayern auf ihre kurze Vergangenheit als weißes Ballett und ließen den Ball von der Spitze auf die Hacke tänzeln, bis es erst Hristow zu bunt wurde, der Elber beim 27. Stupser mit der Ferse in selbige fuhr und dafür rot sah, dann Oliver Kahn. Der ist als Torwart auf die Verhinderung schönen Fußballs geeicht, den ja viele Leute an der Zahl der gefallenen Tore messen, und durfte sich in seinem Groll bestätigt sehen, als er das 1:3 durch Klose kassierte. Danach sah man in einigen Minuten Bayern-Verwirrung, was möglich gewesen wäre im Berliner Olympiastadion, doch bald hatten die Müncher die Sache wieder souverän im Griff.

Aber, wie Uli Hoeneß gleich nach dem Schlusspfiff bemerkte, nationale Erfolge können nicht das „Maß aller Dinge“ für den FC Bayern sein. Der müsse versuchen, länger „auf internationaler Ebene zu tanzen“. Da war es wieder, das weiße Ballett, das nach getaner Arbeit in Berlin aber erstmal zur Musik der Gruppe Pur die Hüften schwingen durfte. Ob sich Udo Lindenberg das noch angetan hat, konnte aufgrund eigener Fluchtergreifung nicht recherchiert werden.