: Das Ablenkungsmanöver Sozialhilfedebatte
Im Kirchlichen Dienst der Arbeitswelt nimmt man die Debatte um die Sozialhilfe mit Unmut zur Kenntnis: „Gegen die Streichung der BSHG-19-Stellen könnte die CDU doch mal rebellieren. Die meisten Sozialhilfeempfänger wollen dringend arbeiten“
Die Bremer CDU hat im Zuge der Haushaltsplanung die Sozialhilfe aufs Korn genommen. Erst hieß es, Bremen zahle im Bundesvergleich zuviel an Stütze. Das wurde dahin korrigiert, dass Posten wie Bekleidungspauschale (262 Euro/Jahr) über denen anderer Städte lägen. Sie sind Referent im Kirchlichen Dienst der Arbeitswelt (KDA). Wie sehen Sie diese Debatten?Berndt Korten: Ich glaube, es handelt sich auch um eine politische Strategie – in der Hoffnung und sicher auch im Wissen, dass man damit in der Öffentlichkeit punkten kann.Die Schwachen haben keine Lobby und müssen als Sündenbock herhalten. Dabei ist das von der Sache her Unsinn. Ich habe viele Jahre beraten und weiß, was diese Bekleidungspauschale hergibt. Damit können die Betroffenen ihren minimalen Kleidungsbedarf kaum decken. Was fehlt, müssen sie dann aus dem Regelsatz abzwacken. Das geht oft auf Kosten der Ernährung. Am Ende des Monats gibt es nichts Richtiges mehr zu essen. Das trifft besonders auch die Kinder.
Sie sprechen von politischer Strategie als Ursache der Debatte. Wovon könnte die CDU ablenken wollen?Es gab unheimlich ehrgeizige Zielzahlen, die Bremer Wirtschaft in Schwung zu bringen und Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist trotz Investitionsprogramm und allen anderen Maßnahmen nicht gelungen wie erhofft. Anstatt sich einzugestehen, dass auch die CDU-Politik gescheitert ist, versucht man nun, andere Schuldige zu finden.
Welche Folgen hat die Debatte für die Betroffenen?Es ist grauenhaft. Die meisten fühlen sich sowieso schlecht.
Ist das heute noch so?Ja, eindeutig. Mindestens 95 Prozent der Sozialhilfeempfänger würden liebend gerne aus ihrer Situation herauskommen. Aber Herr Kastendiek (CDU-Fraktionschef, Anm. d. Red.) kann ja mal eine Woche in eine Arbeitslosenberatungsstelle zum Beispiel in Tenever gehen und mit den Menschen sprechen. Da würde er sehen wie sie leiden.
Was bedeutet es gesellschaftlich, wenn die Christdemokraten so reden?Ehrlich gesagt: Mindestens ebenso schlimm ist, dass die SPD und die Grünen auf Bundesebene diese Debatte mittlerweile genauso führen. Hier gibt es eine ganz große Koalition – und auch die meisten Medien spielen auf der Klaviatur, dass die gesamten Sozialleistungen gekürzt werden müssen. Natürlich brauchen wir in Teilbereichen Reformen. Nicht alles ist weiterhin so finanzierbar. Aber die Blickrichtung halte ich für entscheidend: ran an den schier unglaublichen privaten Reichtum, der sich nur in Billionen Euro zählen lässt. Warum guckt man dahin, wo die Leute schon am wenigsten haben? Wohl weil die, denen es dreckig geht, nicht das Selbstbewusstsein haben, dagegen vorzugehen.
In der Kirche spürt man meist direkt, wenn es enger wird. Was kommt bei Ihnen an?Neben großer Verzweiflung in Einzelfällen gibt es viele kleine Beispiele. In Walle beispielsweise leisten sich nur noch ein Drittel der Trauernden Grabbestattungen. In Findorff ringen die Kollegen mit Anfragen, weil Kranke die 10 Euro für die Praxisgebühr und das Geld für Medikamente nicht haben.
Welchen Umgang mit dem Thema Sozialhilfe würden Sie sich wünschen?
Ich wünschte, dass die Missbrauchsdebatte endlich aufhört und man die Tatsachen zur Kenntnis nimmt: dass viele Sozialhilfeempfänger dringend arbeiten wollen. Diese Leute müssten politisch gefördert werden. Das hat mir am Prinzip Fördern und Fordern immer gefallen...
... aber jetzt werden die BSHG-19-Stellen gestrichen ...Das ist eine Katastrophe, weil das Land sich damit aus der unterstützenden Arbeitsmarktpolitik für Sozialhilfeempfänger verabschiedet. Gegen diese rein finanzpolitisch begründete Entscheidung könnte die CDU doch mal rebellieren. Hier werden Menschen ausgeschlossen, die arbeiten wollen. Aber die Lage wird sich für alle verschärfen: Wir stehen vor einer enormen gesellschaftlichen Umwälzung, die auch die gesellschaftliche Mitte treffen wird. Nach einem Jahr erhalten Arbeitslose künftig Arbeitslosengeld II, das heißt faktisch Sozialhilfe. Aber viele ahnen noch nicht, wie schnell sie das treffen kann. Fragen: Eva Rhode