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Archiv-Artikel

„Es riecht ein bisschen nach Guantánamo“, sagt Rupert von Plottnitz

Nach dem Terror in Madrid sollten nicht die Freiheitsrechte eingeschränkt werden. Doch: Mehr Polizisten sind nötig

taz: Herr von Plottnitz, fühlen Sie sich sicher?

Rupert von Plottnitz: Nicht wesentlich mehr oder weniger als sonst. Daran haben auch die jüngsten Ereignisse in Spanien nichts geändert.

Nach den Anschlägen am 11. 9. 2001 in den USA wurden auch hierzulande Otto Schilys Sicherheitspakete verabschiedet. Jetzt wird wieder über Gesetzesverschärfungen diskutiert. Sind die „Otto-Kataloge“ unvollständig?

Zumindest scheinen die ursprünglich Beteiligten der Meinung zu sein, dass da noch manches im Argen liegt. Das ist allerdings etwas seltsam, weil Otto Schily selbst die Gesetzespakete vom Dezember 2002 seinerzeit als „epochales Gesetzeswerk“ bezeichnet hat.

Sie halten sie nicht für ergänzungsbedürftig?

In allen wesentlichen Eingriffsbefugnissen sind sie sehr vollständig. So weit es um die Nachrichtendienste geht, ist allerdings offensichtlich das Wesentliche versäumt worden: darauf zu achten, dass nicht jeder Nachrichtendienst auf Bundes- oder Landesebene unkoordiniert nebeneinanderher werkelt.

Sind Sie für einen zentralisierten Verfassungsschutz?

Nein, ich bin nicht für einen Verfassungsschutz, der lediglich in der Regie des Bundes liegt. Die Landesämter haben weiterhin ihre Existenzberechtigung, weil die besondere regionale Kompetenz ja auch einen Zugewinn an Erkenntnissen bedeuten kann. Das Hauptdefizit sehe ich in der Tatsache, dass diese Behörden im Umgang miteinander offenbar sehr konspirativ sind. Da scheint bisher die nötige Konsequenz aus dem Desaster im NPD-Verbotsverfahren zu fehlen.

Waren die Grünen nicht eigentlich mal für die Abschaffung des Verfassungsschutzes?

Nach dem Ende des Kalten Krieges waren die Grünen und ich ganz besonders der Meinung, dass man keinen Verfassungsschutz mehr braucht. Jetzt gibt es allerdings neue Risiken.

Inzwischen fordern manche in der Union, die europäische Menschenrechtskonvention der neuen Bedrohung „anzupassen“. Wäre das sinnvoll?

Davon halte ich überhaupt nichts. Der islamistische Terror zielt ja gerade auf das, was die rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Traditionen in den Ländern des Westens von einer Willkürherrschaft unterscheidet. Bürgerrechte und Menschenrechte sind umso kostbarer, je mehr sie von Terrorgruppen attackiert werden. Der Verzicht darauf wäre eine Kapitulation, über die sich nur der islamistische Terror freuen könnte. Da darf es keine Abstriche geben.

Gilt das auch für die Idee, mutmaßliche islamistische Terroristen ohne deutschen Pass künftig ohne Prozess schon bei Verdacht abschieben zu können?

Das ist vor allem eine Placeboforderung. Denn schon nach dem bestehenden Ausländergesetz können Ausländer ausgewiesen werden, deren Aufenthalt die Sicherheit der Republik gefährdet. Die jetzt geforderten Verschärfungen bergen indes das Risiko, dass in Zukunft auf bloße Spekulation hin ausgewiesen werden soll – und das hätte mit dem Rechtsstaat nichts mehr zu tun.

Nach den Anschlägen in Madrid will der CDU-Bundestagsabgeordnete Friedbert Pflüger das Recht auf Freiheit und auf Schutz neu justieren. Wie viel „Neujustierung“ kann der Rechtsstaat verkraften?

Diese Neujustierung zulasten der Freiheitsrechte und rechtsstaatlicher Schutzrechte und zugunsten vermeintlicher Sicherheitsinteressen erleben wir jetzt schon seit mehreren Jahren. Wenn das so weitergeht, dann geht es langsam an den Nerv. Wenn ich daran denke, dass in den vergangenen Tagen schon eine so genannte Sicherungshaft für Leute gefordert wurde, bei denen man offensichtlich keine Erkenntnisse hat, die auf Verdachtsmomente hinweisen, dann riecht das schon ein bisschen nach Guantánamo.

Erinnern Sie nicht solche Forderungen manchmal an die Terrorismusdiskussionen in den 70er-Jahren?

Die Dimension dessen, was mit dem islamistischen Terrorismus verbunden ist, ist mit dem, was in den 70er-Jahren eine Rolle gespielt hat, nicht vergleichbar. Die Bedrohung ist heute schon eine ganz andere. Aber richtig ist, dass der Ruf nach immer neuen Gesetzesverschärfungen auch damals die Diskussion bestimmt hat. Auch damals unterblieb zu prüfen, was effektiv wirkt und was nicht.

Und was wäre effektiv?

Man muss sich natürlich vor der Illusion hüten, dass für absolute Sicherheit gesorgt werden könnte. Dazu sind die Risiken, mit denen wir es jetzt zu tun haben, zu diffus und die Erkenntnisse zu den Tätergruppen – auch im Gegensatz etwa zu den 70er-Jahren – nicht gut genug.

Aber was kann man, was sollte man nun tun?

Versuchen, die bekannten Risiken zu minimieren. Die plausible Konsequenz wäre, die gute, alte Schutzpolizei zu verstärken. Aber im Zeichen eines Sparkurses und einer politischen Generallinie, die besagt, dass jede steuerliche Mehrbelastung vor allem jener, denen es nicht sonderlich wehtun würde, ein Risiko für den Standort Deutschland sei, geschieht das Gegenteil. In Hessen sollen jetzt sogar 1.000 Polizeistellen abgebaut werden.

INTERVIEW: PASCAL BEUCKER