Die Freizeit als Wissenschaft

Seit zehn Jahren verbindet die Hochschule Bremen Freizeit, Kultur und Tourismus in einem eigenen Studiengang

Angewandte Freizeitwissenschaften? „Es herrscht oft noch Erklärungsbedarf“, räumt Rainer Hartmann ein. Er ist einer von drei ProfessorInnen für diesen Studiengang, der in Deutschland bisher nur an der Hochschule Bremen angeboten wird. Den Leuten sei aber schnell zu vermitteln, dass es nicht ums professionelle Faulenzen geht. Seine Kollegin Renate Freericks sieht das Institut für Freizeitwissenschaft sogar als bundesweiten Vorreiter: „Wir sind noch zu sehr Arbeitsgesellschaft. Das Ausland ist da weiter.“ Bisher haben 136 StudentInnen in Bremen ihren Abschluss als FreizeitwissenschaftlerInnen gemacht.

„Im Moment haben wir 40 Absolventen pro Jahr“, sagt Hartmann. Den Studierenden stehe eine Fülle von Berufsfeldern und Forschungsmöglichkeiten offen. Der Klimawandel bedeute auch für den Tourismus eine besondere Herausforderung. Er habe acht bis zehn Prozent der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen zu verantworten, sagt Bernd Stecker, im Studiengang zuständig für die Themen Ökologie und Nachhaltigkeit. Der Nahbereich müsse deshalb als Erholungsort gestärkt werden. „Das hat auch eine sozialpolitische Dimension“: Schließlich würden gerade die oberen Einkommensschichten oftmals viel und weit fliegen – und dementsprechend negativ am Schadstoffausstoß partizipieren.

Andere Schwerpunkte der Wissenschaftler sind das barrierefreie Reisen in Bremen, die Freizeitsituation von MigrantInnen, oder „Tourismus als Entwicklungspolitik“. Letzteres sei bisher noch eine Nische für gut ausgebildete Studierende, sagt Stecker. Aber auch hier gebe es bereits ein Projekt mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Ferner kooperiert der Studiengang mit dem SV Werder Bremen, und beim Evangelischen Kirchentag im kommenden Jahr will man auch dabei sein.

Führt so viel Auswahl nicht zu Beliebigkeit? Phillip glaubt das nicht. Später müsse man sich natürlich spezialisieren, sagt der 22-jährige Student. Bis dahin möchte er sich einen guten Überblick verschaffen. Der Musiker studiert im dritten Semester Angewandte Freizeitwissenschaft. Er hofft, im kulturellen oder künstlerischen Bereich unterzukommen. Ein Auslandsemester ist Pflicht, Phillip wird es auf Malta verbringen.

Das hat Simon schon hinter sich. Er war in Australien und schreibt gerade an seiner Diplomarbeit. Jetzt, wo er sich bewerben muss, bekommt er auch die Kehrseite der thematischen Vielseitigkeit zu spüren: „Ich kann von allem ein bisschen, aber nichts so richtig“, sagt der Student. Die Arbeitgeber würden sehr unterschiedlich reagieren: „Manche sind skeptisch, andere total begeistert“. Erfreulich findet er auch, dass sich die öffentliche Wahrnehmung des Studiengangs deutlich gewandelt hat. „Früher wurde man im Freundeskreis oft belächelt“, sagt Simon. Mittlerweile gebe es dagegen viele, die froh wären, wenn sie das Gleiche studieren könnten. TAZ