: „Ich wünsche Änderungen“
Grünen-Landeschefin Almuth Tharan wirft der Bundesspitze ihrer Partei vor, Schröder bei der Agenda 2010 zu wenig Kontra zu geben. Einschnitte müsse es geben, aber nicht nur bei den sozial Schwachen
Interview STEFAN ALBERTI
taz: Frau Tharan, wenn man die Bundesgrößen Ihrer Partei so hört, brauchen Sie zum Thema Agenda 2010 erst gar nicht zum Sonderparteitag nach Cottbus zu fahren. Für die ist schon alles klar: Freude über die 90-Prozent-Zustimmung bei der SPD, und Fraktionsvize Dückert erwartet bei den Grünen ein ähnliches Ergebnis. Fahren Sie trotzdem?
Almuth Tharan: Mit den 90 Prozent muss man mal abwarten, und ob die Agenda auch bei uns 1:1 durchgeht, genauso. Ich finde es schon sehr bedauerlich, dass die Grünen in diesem Prozess als eigenständige Partei so wenig wahrgenommen werden. Das liegt sicherlich auch daran, wie die Bundesebene der Partei agiert. Wir als Berliner Landesverband finden das nicht besonders angemessen. Die Grünen sollten doch deutlicher ihre eigene Meinung dazu äußern.
Einigen Bundesgrünen geht es gar nicht weit und schnell genug. „Die Agenda 2010 ist erst der Anfang“, tönt Wirtschaftsstaatssekretär Rezzo Schlauch.
Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass die Agenda 2010 nicht alle Probleme löst. Es steht auch völlig außer Frage, dass der Umbau weitergehen muss. Die Frage ist allerdings, ob man das so machen und so schlecht kommunizieren muss.
Was sind denn für Sie die Hauptkritikpunkte?
Ich denke, dass der Agenda 2010 das Gesamtbild fehlt. Dass Umbau und auch Leistungskürzungen nötig sind, ist allen klar, auch den Grünen. Was aber nicht vermittelt wird, ist, dass es eine Anstrengung der gesamten Gesellschaft sein muss, die alle schultern, vom Sozialhilfeempfänger bis zum Rentner und Millionenerben. Stattdessen wird vermittelt: Wir nehmen da weg, wo wir relativ einfach zugreifen können – bei den sozial Schwachen.
Leistungskürzungen sind nötig, sagen Sie. Auch die Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau?
Wir als Berliner Grüne würden uns schon wünschen, dass das neue Arbeitlosengeld II höher ist als die Sozialhilfe. Das entspricht auch unserer Programmlage. Es sieht aber so aus, dass es sich trotzdem auf dem Niveau der Sozialhilfe einpendeln wird. Ich halte das nicht für akzeptabel.
Auf welchem Weg würden Sie denn die Lasten breiter verteilen wollen? Mit Vermögensteuer? Mit Erbschaftsteuer?
Die Probleme mit der Verfassungmäßigkeit der Vermögensteuer sind ja bekannt. Man muss trotzdem darüber nachdenken. Das stand auch ursprünglich mal in unserem Programm. Bei der Erbschaftsteuer sehe ich ganz deutlich eine Möglichkeit, zu handeln. Da der Staat über viele Jahre der Stabilität die jetzt und zukünftig anstehenden Erbschaften erst ermöglicht hat, gibt es da schon eine Sozialpflichtigkeit.
Schröder macht die Zustimmung zur Agenda 2010 quasi zur Vertrauensfrage. Soll sich die grüne Bundestagsfraktion diesem Druck aus Koalitionsräson heraus beugen?
Ich rechne damit, dass sie es tut. Ich würde mir nur wünschen, dass wirklich noch versucht wird, Änderungen wie die Ausbildungsplatzabgabe durchzubringen. Bei solchen Sachen kann die Ankündigungspolitik nicht mehr weitergehen, da müssen die Grünen Nägel mit Köpfen machen und die SPD vor sich hertreiben.
In Nordrhein-Westfalen steht Rot-Grün vor dem Scheitern. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende? Was würden Sie Ihren Parteifreunden raten?
So wie der Konflikt jetzt wieder hochgefahren ist, sollten die Grünen gelassen abwarten. Wenn, dann muss die SPD die Koalition beenden. Es gibt momentan keinen von Berlin aus erkennbaren Grund, warum wir dort aussteigen sollten.
Wenn es in Nordrhein-Westfalen doch zum Bruch kommt, was heißt das für Berlin, wo Sie der heimliche Wunschpartner der SPD bleiben. Wäre eine erneute rot-grüne Koalition hier schwerer?
Das glaube ich nicht. Wenn in einem Bundesland eine Koalition scheitert, und wie in diesem Fall vor allem aufgrund persönlicher Gründe, sehe ich nicht, dass das Auswirkungen auf uns haben könnte.